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Channel: Blog – Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus
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„Entwelschung“ –„Entschwabung“: Von gallischen Hähnen, Reichsadlern und dem Straßburger Münster

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Plakat von Alfred Spaety (1941), BNU Strasbourg 737310

Das Elsass gehört zu jenen Grenzregionen, die ständig ihre staatliche Zugehörigkeit wechselten: allein zwischen 1870 und 1945 wurde es viermal zwischen Frankreich und Deutschland hin- und hergeschoben: Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 musste Frankreich Elsass-Lothringen abtreten. Nach der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg ging es wiederum zurück an Frankreich. Im Juni 1940 besetzte die deutsche Wehrmacht das Gebiet. Das Elsass wurde im Anschluss an diese Besetzung faktisch, wenngleich niemals offiziell, annektiert. Seit 1945 gehört es abermals zu Frankreich.

„Hinaus mit dem welschen Plunder“

Seit Beginn des Projekts beschäftige ich mich nun mit der Geschichte der nationalsozialistischen Herrschaft – und hier besonders der Rolle der badischen Landesministerien – im Elsass. Dabei begegnet mir ein Bild immer wieder: es ist ein deutsches Propaganda-Plakat, das ab 1941 im Elsass aushing, und das – soweit ich dies bisher beurteilen kann – bis heute vielen Elsässerinnen und Elsässern gut im Gedächtnis geblieben ist. Indiz hierfür ist allein die Häufigkeit, mit der das Plakat in Publikationen, Ausstellungen und Interneteinträgen zum Thema deutsche Besatzung im Elsass zu finden ist.

Bedauerlicherweise erfährt man in diesen Veröffentlichungen aber nur wenig über das Plakat selbst. Weder über seinen Urheber, Alfred Spaety, noch über Entstehungskontext, Auflage oder Rezeption des Plakats habe ich etwas herausfinden können. Hierüber werden wohl die Akten des aus Baden nach Straßburg entsandten Gaupropagandaleiters Adolf Schmid und seiner Gaupropagandaleitung (Gau Baden-Elsass) Auskunft geben können, die womöglich im Generallandesarchiv in Karlsruhe oder aber auch im Nationalarchiv in Paris lagern. Die dort liegenden Informationen können sich als durchaus spannend erweisen: Es kann nämlich gut sein, dass das Plakat beispielsweise erst in der Nachkriegsphase eine so große Popularität erlangte, unter anderem, weil die französische Resistance gegen Kriegsende das Bild in zahlreichen Plakaten und Postkarten nachahmte.

Das Plakat zeigt einen großen Besen, der vor der Kulisse des Straßburger Münsters diverse französische Kulturgüter und nationale Symbole hinwegfegt. Eine Büste der Marianne, eine Baskenmütze, ein französischer Stahlhelm und ein Polizeikäppi, französische Zeitungen und ein Werk des pro-französischen elsässischen Karikaturisten Hansi (Jean-Jacques Waltz). Prominent in der Mitte des Bildes wird das Nationalsymbol der Franzosen, der gallische Hahn, verscheucht.

Das Plakat verbildlicht recht eindringlich die anti-französische Volkstumspolitik, welche der Gauleiter und Reichsstatthalter für Baden-Elsass, Robert Wagner, ab der ersten Stunde mit Nachdruck verfolgte: von den Deportationen unerwünschter Frankophiler in die unbesetzte Zone, über die Umbenennung von Straßen-, Vor- und Familiennamen und die Einführung der deutschen „Muttersprache“ als Amtssprache bis hin zum zeitweisen Verbot des Tragens von Baskenmützen. Inwiefern auch die badischen Bediensteten der Landesministerien in diese NS-Politik involviert waren und mit welcher Stoßrichtung, ist bisher noch nicht genügend ergründet. Auch darum soll es in meinem Projektbereich gehen.

Wiederkehrende Ikonen

Plakat zum Geburtstag Hitlers (nicht publiziert), BNU 5834428

Plakat zum Geburtstag Hitlers (nicht publiziert), BNU Strasbourg 5834428

Nun ließe sich einiges über die einzelnen Objekte im Bild schreiben. Ich möchte mich auf zwei Elemente beschränken, die mir besonders aufgefallen sind: das Wappentier und das Straßburger Münster. Und schließlich fällt noch etwas auf: die fehlende elsässische Symbolik.

Werbeplakat für die Zeitung "Straßburger Neueste Nachrichten" (o.D.), BNU Strasbourg 6960

Werbeplakat für die Zeitung „Straßburger Neueste Nachrichten“ (o.D.), BNU Strasbourg 6960

Zunächst einmal wäre dort das Münster zu nennen. Mit seiner asymmetrischen Fassade (der Südturm wurde nie errichtet) sind seine Konturen leicht wiedererkennbar. Nach der Recherche einiger Bildquellen wird deutlich, dass zahlreiche andere Abbildungen der NS-Propaganda das Münster zum Wahrzeichen eines „deutschen“ mittelalterlichen Zentrums am Oberrhein stilisieren und mit dieser jahrhundertalten Tradition die deutsche Präsenz zu legitimieren versuchen. Die immer wiederkehrende Darstellung des Münsters in der NS-Propaganda zeugt aber auch von der Bedeutung, die Straßburg als geopolitischem Ort und als Verwaltungszentrum für die deutschen Besatzer zukam. Dass dies auch für die Gegenseite galt, zeigt sich in General Leclercs bekannter Aussage, er werde erst dann die Waffen ruhen lassen, wenn auf dem Straßburger Münster wieder die französischen Farben wehen.

Plakat von P. Sainturat (1945), Musée de l'Armée

Plakat von P. Sainturat (1945), BNU Strasbourg 1/737285

Doch während im eingangs gezeigten Plakat der bedrängte, gallische Hahn einen Großteil des Bildes einnimmt, prangt in diesen zwei Beispielen ein gigantischer Reichsadler über dem Münster. Und auch in den mannigfachen, von der französischen Propaganda produzierten Plakaten, die bereits ab 1941 entstanden, finden sich der gallischer Hahn beziehungsweise der Reichsadler, als auch das Münster wieder – nun aber mit umgekehrten Vorzeichen. Diesmal aus der anderen Richtung kehrend (aus dem Westen nach Osten), fegt wahlweise ein trikolorer Besen einen bedrängten Adler über den Rhein, oder es ist der gallische Hahn, der beim Fegen hilft und dabei auch noch die Hakenkreuzfahne zerbricht.

Plakat von Jerry (1945), BNU Strasbourg 1/737281

Plakat von Jerry (1945), BNU Strasbourg 1/737281

Gemeinsam haben das deutsche Original und die französischen, karikierenden Repliken, dass ausschließlich auf nationale Symbole – mal vom Münster abgesehen – rekurriert wird. Das Elsass und seine regionalen Besonderheiten werden nicht thematisiert. Nirgends sind sein Wahrzeichen, der Storch, oder auch die elsässischen Trachten mit den so markanten schwarzen Hauben zu sehen. Die Propagandisten auf beiden Seiten scheinen vor der Bekräftigung einer zu starken regionalen Identität zurückgeschreckt zu haben. Elsässer und Elsässerinnen sollten sich in erster Linie zum deutschen Reich beziehungsweise zur französischen Republik zugehörig fühlen. Eine Ausnahme ist in dieser Hinsicht das Plakat des bereits erwähnten Karikaturisten Hansi, in dessen äußerst detaillierter Darstellung zwei junge Paare in elsässischer Tracht auftauchen.

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Plakat von Hansi (1945), BNU Strasbourg 1/671547

Der Eindruck, ständig „von außen“ bestimmt zu werden, hat wohl auch dazu beigetragen, dass sich viele Elsässerinnen und Elsässer weder als deutsch noch als französisch verstehen, wie beispielsweise Simone Arnold, eine Überlebende des deutschen Besatzungsregimes im Elsass. Doch die besonders drastische anti-französische NS-Politik, ganz zu schweigen von der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik gegen Jüdinnen, Juden und andere „Gemeinschaftsfremde“, die dort zwischen 1940 und 1945 herrschte, hat die Abwendung dieser Region von Deutschland deutlich verstärkt.

 

 

 

 

 


War Hitler Vegetarier? Eine Anekdote als Aufgabe für Historiker

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Hitler auf seiner Vortragsreise im Herbst 1930, hier in Weimar | Bundesarchiv, Bild 102-10541 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0

Hitler auf seiner Vortragsreise im Herbst 1930, hier in Weimar | Bundesarchiv, Bild 102-10541 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0

„Nach der Versammlung haben Wagner und ich im Hotel Sonne, in dem er abgestiegen war, eine kurze Unterredung mit Hitler, wobei ich erstaunt war, ihn nach einer so langen und anstrengenden Rede so frisch vorzufinden. Erwähnenswert war, daß er Leberknödel speiste, wie ich erfuhr, das einzige Fleischgericht, das er zu sich nahm.“

Walter Köhler, im „Dritten Reich“ badischer Ministerpräsident, befand sich im November 1930 mit Adolf Hitler und dem badischen Gauleiter Robert Wagner in Offenburg, als sich diese Begebenheit abspielte. Dass Köhler noch 46 Jahre später eine solche eher unwichtige Angelegenheit in seine Memoiren aufnahm, dürfte zunächst einmal verwundern. Tatsächlich aber verweist diese Anekdote auf einen privaten Aspekt der ansonsten öffentlichen Person Hitlers, der in verschiedenen Ausprägungen und aus unterschiedlichen Gründen immer wieder in die Debatten zurückkehrt: seinen Vegetarismus.

Zur Forschungsarbeit von Historikern gehört als grundlegendes Werkzeug die Quellenkritik: Sie steht am Anfang der Betrachtung einer Überlieferung und soll dazu dienen, den Informationsgehalt der Überlieferung zu prüfen. Die Form der Quelle, ihr Entstehungszeitraum und -kontext, die Authentizität, Verfasser und Adressat gehören zur äußeren Quellenkritik – der tatsächliche Inhalt, seine Glaubwürdigkeit und die möglichen Motive des Urhebers dagegen zur inneren Quellenkritik.

Im Falle der Memoiren Walter Köhlers und vieler anderer zeitgeschichtlicher Überlieferungen ist die äußere Quellenkritik weniger kompliziert als für Mediävisten oder Althistoriker: Bei der Quelle handelt es sich um Lebenserinnerungen, die auf den 19. Juli 1976 datiert und mit durchgehenden Seitenzahlen versehen sind. Auch an der Urheberschaft Köhlers gibt es keine begründeten Zweifel, ebenso wenig an den Adressaten, die er im Vorwort der Erinnerungen nennt:

„Ich habe nicht die Absicht, ein Buch zu schreiben und es der Öffentlichkeit vorzulegen. Meine Arbeit ist bestimmt für meine Kinder und Enkel, soweit sie sich für die Vergangenheit interessieren, und für diejenigen, die sich mit dem Phänomen Hitler als Historiker oder politische Schriftsteller herumzuschlagen haben.“

Köhler hatte also durchaus das Ziel, das zukünftige Bild seiner Person und seines Wirkens zu beeinflussen. Gleichzeitig darf man ihm aber auch unterstellen, seine zukünftigen Leserinnen und Leser mit seiner Nähe zur NS-Elite zu beeindrucken, was seine Glaubwürdigkeit unterstreichen soll. Solche Episoden wie die oben zitierte sind ob ihrer scheinbaren Banalität ein gutes Zeichen dafür. Köhler griff mit der Erwähnung des Fleischkonsums Hitlers nämlich das weit verbreitete Bild des „Führers“ als vegetarischem Asket und Tierliebhaber auf, das sich in den 1930er Jahren etabliert hatte und bis heute fortlebt.

Tatsächlich aß Hitler, in diesem Punkt ist sich die Geschichtswissenschaft weitgehend einig, äußerst wenig Fleisch, wohl vorwiegend aus gesundheitlichen Gründen. Doch Ausnahmen gab es zuhauf: Neben den bereits erwähnten Leberknödeln nahm Hitler zumindest bis Mitte der 1930er Jahre auch gerne Weißwurst und Geflügel zu sich. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, schon damals das Idealbild des Vegetariers wortreich hochzuhalten, wie Ian Kershaw es in seiner Hitler-Biografie an einem Vorfall aus dem Jahr 1932 beschreibt, der auf die Schilderung des damaligen Hauptschriftleiters des Hamburger Tageblatts, Albert Krebs, zurückgeht:

„[Er] fragte stattdessen den Gauleiter zu seiner Überraschung, was er von vegetarischer Kost halte. Ohne eine Antwort abzuwarten, habe Hitler zu einem langatmigen Vortrag über vegetarische Lebensweise angesetzt. Krebs empfand den Wortschwall als verrückten Ausbruch, der auf die Überwältigung und nicht die Überredung des Zuhörers zielte.“

Auch wenn im „Dritten Reich“ die fleischlose Ernährung nie von der Propaganda zum Ideal aller Deutschen erhoben wurde, wie dies etwa bei den Nichtraucherkampagnen der Fall war, so wurde das Bild Hitlers doch von seiner vermeintlich frei gewählten Askese geprägt. Der Bildband „Hitler wie ihn keiner kennt“, herausgegeben von Hitlers Fotografen Heinrich Hoffmann, widmete sich ausführlich dessen  Tierliebe und vegetarischer Ernährung und wurde bis 1945 in einer Millionenauflage gedruckt und verkauft. Der Cottbusser Saftfabrikant Ernst Buchwald schickte Hitler nach der Lektüre des Bandes eine Kiste seines Apfelsaftes in der Hoffnung, „dass der Führer ein Glas in Gedanken an Deutschlands Aufstieg leeren wird.“ Es spricht tatsächlich einiges dafür, dass das vegetarische Idealbild des „Führers“ nur aus politischem Kalkül nicht als Vorbild der gesamten „Volksgemeinschaft“ eingesetzt wurde: Am 23. April 1942 erwähnte Hitler in einem seiner Monologe in der Berliner Reichskanzlei den Plan, nach dem Kriegsende die Essgewohnheiten der Deutschen zu ändern, was mitten im Kampf schlecht möglich sei. Nur drei Monate vorher hatte er in der Wolfsschanze postuliert:

„Wir hätten den Nationalsozialismus in Deutschland nicht erfolgreich durchsetzen können, wenn ich die Fleischkost verboten hätte. Sofort wäre die Frage aufgetaucht, z’wegen was ist dann überhaupt eine Kalbshaxn da?“

Dennoch blieb Hitlers Vegetarismus im kollektiven Gedächtnis der Deutschen auch nach dem Zusammenbruch 1945 haften und wurde zu dem, was der Literaturwissenschaftler Marcel Atze ein „Asketen-Mythem“ nennt. Allzu aufregend und rätselhaft schien der Gegensatz zwischen unbedingter Tierliebe und nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, zu verführerisch war er als Totschlagargument in Diskussionen über fleischlose Ernährung. Dass die Behauptung „Hitler war Vegetarier“ in der deutschen Nachkriegsgesellschaft eine weit verbreitete Information darstellte, machte sie für Walter Köhler zu einer idealen Anekdote, um seine Nähe zum späteren „Führer“ noch einmal zu veranschaulichen. Das obenstehende Zitat ist somit weniger eine Quelle für Hitlers Fleischkonsum als für eine der Intentionen, mit denen Köhler seine Memoiren verfasste.

 

Quellen:

Walter Köhler, Erinnerungen, 19. Juli 1976, in: Stadtarchiv Weinheim Rep. 36 Nr. 4298.

 

Mit Dank an Katrin Hammerstein für den Hinweis auf die Fundstelle in den Erinnerungen Köhlers.

Filmaufnahmen von der Beisetzung des badischen Kultusministers Otto Wacker 1940

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Wacker-Straßburger Monatshefte 6 1942 H2_bearb Kopie

Otto Wacker, Büste von Prof. Otto Schließler, Karlsruhe, in: Straßburger Monatshefte. Zeitschrift für das deutsche Volkstum am Oberrhein 6 1942 (2), S. 77.

Im Zuge der Materialsammlung für den Blogartikel „Die Trauerfeierlichkeiten für den badischen Kultusminister Otto Wacker 1940“ erging eine Anfrage an das Stadtarchiv Offenburg, ob dort Informationen über den Verbleib einer Bildnisbüste Otto Wackers vorliegen, die nach dem Tod des Kultusministers von dem Karlsruher Bildhauer Otto Schließler in vier Ausfertigungen erstellt wurde. Ein Exemplar erhielt die Stadt Offenburg, die Wacker bereits seit 1933 zu ihren Ehrenbürgern zählte. Die Anfrage erbrachte eine Fehlanzeige: Wo die Bildnisbüste bis 1945 aufgestellt worden war und wo das unerwünscht gewordene Repräsentationsstück nach dem Ende des „Dritten Reiches“ verblieben ist, lässt sich bislang nicht klären. Fruchtlos war die Initiative gleichwohl nicht, denn der Offenburger Stadtarchivar Dr. Wolfgang Gall konnte ein anderes Fundstück zur Verfügung stellen, das von den Trauerfeierlichkeiten für Wacker überliefert ist: eine knapp vierminütige Filmsequenz von der Überführung des Leichnams des badischen Kultusministers nach Offenburg am 16. Februar 1940 und seiner Beisetzung auf dem Offenburger Friedhof am 17. Februar.

Der Film stammt von dem Offenburger Fotografen Paul Stober, der in den 1930er Jahren und während des Zweiten Weltkriegs einige öffentliche Großereignisse in der Stadt filmisch festgehalten hat. Während von einigen seiner Aufnahmen technisch hochwertiges Filmmaterial erhalten ist, wie zum Beispiel von dem Einzug der Reichswehr in die frühere und nun wieder neue Garnisonsstadt im Jahr 1936, kann der vier Jahre später entstandenen Beisetzungssequenz allenfalls eine mindere Qualität zugesprochen werden. Der Grund hierfür dürfte in den schlechten Witterungsverhältnissen an jenem trüben Wintertag zu suchen sein. Auch wenn das Material somit heutigen Sehgewohnheiten kaum zuträglich erscheinen mag, hat es doch einen beträchtlichen Quellenwert: zum einen, weil es generell nur sehr wenige bewegte Bilder gibt, die illustrieren, wie sich die Protagonisten des diktatorischen Systems im Südwesten in der Öffentlichkeit präsentierten, und zum anderen, weil sich die Spezifika der nationalsozialistischen Totenehrung – Militarisierung, überbordende Parteisymbolik und Entchristlichung – trotz Unschärfen und Kontrastarmut des Materials deutlich erkennen lassen.

Über den Ablauf der Beisetzung, der sich aus der Sequenz selbst nicht im Detail erschließen lässt, unterrichtet die ausführliche Berichterstattung des NSDAP-Parteiblatts „Der Führer“: Wackers Leichnam wurde unmittelbar im Anschluss an die Trauerfeier, die am 16. Februar im Karlsruher Landtag als ein Staatsakt abgehalten worden war, in Begleitung einer Delegation des Kultusministeriums und eines Ehrengeleits der SS nach Offenburg überführt und in der Leichenhalle des Friedhofs aufgebahrt. Dem mit der Staatsflagge bedeckten Sarg waren „Degen, Helm und Mütze der Wehrmacht und SS“ sowie Wackers Orden vorangetragen worden. „Nach dem Aufziehen der Ehrenwache nahm die Bevölkerung Gelegenheit, durch einen stummen Gruß am Sarge dem bewährten Kämpfer des Führers die letzte Ehre zu erweisen“, teilte das Parteiblatt in seiner Ausgabe vom 17. Februar mit und mobilisierte die Offenburger zugleich zur massenhaften Teilnahme an der Beisetzung: Es werde erwartet, „daß die sich sicher zahlreich einfindenden Volksgenossen und Volksgenossinnen aus Offenburg und Umgebung bereits um 10.45 Uhr ihre von den Ordnern anzuweisenden Plätze eingenommen haben und so eine Störung der Feier vermeiden“.

Pünktlich um 11 Uhr, so berichtete „Der Führer“ einen Tag später über die Feier, betrat Gauleiter Wagner dann mit der Witwe Wackers den Friedhof. Begleitet wurden sie von den drei Ministerkollegen Wackers, hohen Repräsentanten der SA und SS, dem „Reichsstudentenführer“ Gustav Adolf Scheel und dem Offenburger NSDAP-Kreisleiter Karl Rombach. Den von Darbietungen eines Musikzugs der Waffen-SS umrahmten Mittelpunkt der Beisetzungsfeier bildete eine Rede Wagners, in der er die Verdienste Wackers um die Partei ausführlich würdigte. Der Reichsstatthalter und Gauleiter machte auch den Anfang bei den Kranzniederlegungen mit einem „riesigen Lorbeerkranz“; dann kamen die „anwesenden führenden Männer von Partei, Staat und Wehrmacht unter den Klängen des SS-Treueliedes. Unter den vielen Kränzen, die den Sarg bedeckten, befand sich auch ein Kranz des Generalfeldmarschalls Hermann Göring, der damit den verdienten Vorkämpfer der Bewegung im Grenzgau Baden ehrte“. Den Kranzniederlegungen folgte die Beisetzung Wackers: „Unter Vorantritt der Standarten der SA und SS wurde der Sarg von Soldaten der Waffen-SS zu dem in der Nähe befindlichen Familiengrab getragen, wo die Familienangehörigen mit dem Gauleiter und den Mitgliedern der Badischen Regierung zum letzten Mal von Dr. Otto Wacker Abschied nahmen. Drei Ehrensalven hallten über den Platz, dann sank der Sarg unter den Klängen des Fridericus Rex-Marsches, des Lieblingsmarsches des Verstorbenen, langsam in die Tiefe. Nach Beendigung der Feier marschierten die Gliederungen der Bewegung grüßend am offenen Grab vorüber“.

 

Quelle:

Stadtarchiv Offenburg

Der badische Aktenknoten – im Elsass

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Badischer Aktenknoten in den Akten der Zivilverwaltung im Elsass (ADBR)

„Jetzt google ich schon über eine Stunde und kann nirgends im I[nter]net eine Anleitung finden, wie man diesen doofen Badischen Knoten macht…,“ kann man 2010 im Forum von FoReNo, einem Internetportal für Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte sowie andere Angehörige juristischer Berufe lesen. Die Akten, welche die hier klagende Kanzleiangestellte aus Heidelberg erhalten hatte, waren mit einem eigenartigen Knoten zugebunden gewesen, den sie aber zum Kopieren der Akten hatte öffnen müssen. Und jetzt bekam sie ihn nicht mehr zu. Kein Beitrag im Thread des Forums kann ihr helfen. Die Kommentierenden beschweren sich vor allem über die „Zumutung“ der ungewöhnlichen Heftung aus dem „Badner Land“ und über deren Antiquiertheit.

Tatsächlich ist diese Art der Aktenheftung schon über zwei Jahrhunderte alt. Sie stammt aus der napoleonischen Zeit, in der ein hoher Staatsdiener des Großherzogtums Baden, Geheimrat Friedrich Brauer, 1803 die Archivierung der Staatsverwaltung vereinheitlichen wollte. Wie Helmut Rothermel kürzlich in der Badischen Zeitung schrieb, ging es nicht nur um eine formale Vereinheitlichung, der Anspruch des Geheimrats war ein weitaus höherer: Die Normierung der Aktensortierung sollte auch „zum Instrument systematischer Verwaltungsarbeit und herrschaftlicher Durchdringung der Gesellschaft“ werden.

Vor ein paar Tagen bin ich ebenfalls über das „Herrschaftsinstrument“ badischer Knoten gestolpert – aber nicht in Baden, sondern im Elsass. Im Departementalarchiv Bas-Rhin (Archives Départementales du Bas-Rhin, ADBR) in Straßburg lagert ein Großteil der Akten der deutschen Zivilverwaltung im Elsass und des Reichsstatthalters für den Gau Baden-Elsass, der zu einer verwaltungstechnischen Einheit Gau Oberrhein verschmelzen sollte, wozu es aber nicht mehr kam. Und diese Akten sind allesamt mit dem badischen Knoten geheftet. Ich habe mir ein paar Akten aus der Zeit des Reichslands Elsass-Lothringen, das heißt aus der Epoche des Kaiserreichs (1871-1918), als das Elsass auch unter deutscher Verwaltung stand, bringen lassen, um zu sehen, ob zu dieser Zeit auch so geknotet wurden. Aber nein, im Reichsland wurde „preußisch“ gebunden: Die losen Blätter der Staatsverwaltung wurden zur Archivierung in Bündeln zusammengenäht und dann nochmals in einer großen Akte zusammengeführt.

Bindung der Akten in der Zeit des Reichslands Elsass (ADBR)

Das Schnüren des badischen Aktenknotens ist wahrlich kein Zauberstück: Ich habe es mir von den Archivaren des Universitätsarchivs und des Staatsarchivs in Freiburg zeigen lassen. Vielleicht kann dieser Blogeintrag ja den verzweifelten Kanzleiangestellten außerhalb Badens in Zukunft eine kleine Hilfe sein: Zunächst werden mit einem Aktenlocher zwei kleine, etwa  vier Zentimeter auseinander liegende Löcher am linken oberen Rand der Akte gestanzt. Dann wird eine kleine rechteckige Verstärkung aus Karton auf die Lochung gelegt. Nun fädelt man mit Hilfe des metallenen Aktenstechers eine Schnur durch die Löcher. Schließlich wird geknotet: eine einfache Schleife – ähnlich wie beim Schnüren der Schnürsenkel –, aber nur eine der zwei Schlaufen bleibt stehen. Die beiden Schnurenden werden zusammengezwirbelt und in die Mitte des Aktenstapels gesteckt.

Der badische Knoten im Archiv in Straßburg ist ein äußerst greifbares Zeugnis dafür, dass die Besetzung des Elsass während des Zweiten Weltkriegs eine fast ausschließlich badische Angelegenheit war. Das Elsass wurde aus Baden regiert – vom Gauleiter, der gleichzeitig auch Chef der Zivilverwaltung war, aber auch von der badischen Landesregierung, denn diese stellte das Personal. Bereits im ersten Jahr der Besetzung wurden über 4500 Beamte und Angestellte vornehmlich aus der badischen Landesregierung ins Elsass abgeordnet. Diese brachten wiederum ihren Verwaltungsstil und ihre Verwaltungstechniken, so auch den badischen Aktenknoten, mit. Wie ausschlaggebend diese regionale Prägung des Verwaltens  für die Wahrnehmungen und Erfahrungen derjenigen, die im Elsass verwaltet wurden, war – verglichen mit dem Einfluss, den die zwei verschiedenen politischen Systeme des Kaiserreichs und des „Dritten Reichs“ auf die Bevölkerung hatten –,  ist auch eine Frage, die das Forschungsprojekt beantworten möchte.

 

Quellen:

Helmut Rothermel, “In Baden wird geknotet. Die ‚Badische Aktenheftung‘ – Badens origineller Beitrag zur Technik der Archivierung,” Badische Zeitung, 12.07.2013.
Bericht des Einsatzkommandos der SiPo in Straßburg über statistische Erfassungen vom 15.11.1941. Zit. in Kettenacker, Lothar: Nationalsozialistische Volkstumspolitik im Elsaß, Stuttgart 1973, 325. Vgl. auch „Tätigkeits- und Leistungsbericht des Personalamtes beim Chef der Zivilverwaltung im Elsass für die Zeit vom 15.7.1940 bis 1.6.1941.“ ADBR, 125 AL/ 345.

Moderne Wissenschaftskommunikation als Informations- und Interaktionsprozess: Start der App „NS-Ministerien in BW“

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Der Startbildschirm der neu gestarteten App des Forschungsprojektes

Der Startbildschirm der neu gestarteten App des Forschungsprojektes

Die neu gestartete App „NS-Ministerien in BW“ ist neben der Website mit dem dazugehörigen Blog ein weiterer wichtiger Bestandteil des auf den Aufbau und die Stärkung von Beziehungen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit ausgerichteten innovativen Kommunikationsmanagements des zeithistorischen Forschungsprojektes „Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“. Der Projektteilbereich „Public History“ hat sich zum Ziel gesetzt, über den im historischen Arbeitsprozess üblichen Austausch zwischen Experten aus den Bereichen Wissenschaft, Archivwesen und Verwaltung hinaus gerade auch die bis dato nur in sehr wenigen Fällen ausgeschöpften Interaktionsprozesse mit Bürgerinnen und Bürgern zu fördern. Wissenschaft als eine „gesellschaftliche Aufgabe“ sollte immer auch vor dem Hintergrund eines Austauschprozesses zwischen Teilen der Gesellschaft und Wissenschaftlern definiert werden.

„Public History“ steht damit auch für eine entscheidende Veränderung der öffentlichen Kommunikation von Wissenschaft. Statt diese zum Auftakt und zum Abschluss eines Forschungsprojektes gezielt in Richtung des gewünschten Zielpublikums zu steuern und diesem dann kaum oder keine Feedbackmöglichkeiten zu geben, verschieben sich die Aktivitätspotenziale merklich: Unser Ziel ist es, bereits projektbegleitend einen Pool an Informationen und Interaktionen bereitzustellen, auf den unterschiedliche Bezugsgruppen – je nach Bedarf und Interessenlage – aktiv zugreifen können. Zu den angesprochenen Bezugsgruppen gehören neben Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen vor allem auch Studierende historisch arbeitender Fächer der Geistes- und Kulturwissenschaften, Schüler sowie natürlich alle an der Landes- und Verwaltungsgeschichte interessierten Bürgerinnen und Bürger.

Diese Veränderung in der Kommunikation und öffentlichen Diskussion von Forschungsergebnissen bedeutet auch, dass nicht mehr allein klassische Printmedien wie Abschlussberichte, Projektdokumentationen und Fachbücher genutzt werden. Digitale Kommunikationskanäle sind auch für die Arbeit von Historikerinnen und Historikern interessant. Um die gewünschten Interaktionsprozesse gewährlisten zu können, gilt es deshalb auch insbesondere heute gängige und generationenübergreifend genutzte web-basierte Medienformate einzusetzen. Websites, Blogs und Apps helfen, den wissenschaftlichen Arbeitsprozess mit partizipativen und interaktiven Elementen zu koppeln. Das Public in Public History steht dann nicht mehr als ein Synonym für eine generalisierte und damit anonyme und in der Regel passive Öffentlichkeit. Public History definiert sich stattdessen über den Prozesscharakter des Forschungsprozesses und nicht (allein) über dessen Produkte. Der aktive Einbezug von Bürgerinnen und Bürgern trägt dazu bei, eine große Bandbreite an Perspektiven und Akteure unterschiedlichster Felder miteinzubeziehen.

Die App bietet unter anderem Informationen zu den badischen und württembergischen Ministern in der Zeit des Nationalsozialismus

Die App bietet unter anderem Informationen zu den badischen und württembergischen Ministern in der Zeit des Nationalsozialismus

Die ab dem 1. September 2015 in den einschlägigen App-Stores sowie über die Projekt-Website erhältliche App „NS-Ministerien in BW“ ist für sowohl für Smartphones als auch für Tablet-PCs mit den Betriebssystemen iOS und Android verfügbar. Neben den umfangreichen Informationen zur Landesgeschichte sowie zu Ministern und Ministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus (Biografien, Zeitleisten und Kartenmaterial) liefert die App mehrmals monatlich neue Einblicke in den laufenden Forschungsprozess: Dies geschieht in Form eines Blogs, das historische Einzelaspekte des Projektes in den Blick nimmt, aber auch ganz allgemein Werkstattberichte über Arbeitsprozesse und -methoden im Arbeitsalltag von Historikerinnen und Historikern liefert.

Das Herzstück der App: Mit dem Foto-Uploader können Sie uns unkompliziert Quellen aus eigenem Besitz zukommen lassen

Das Herzstück der App: Mit dem Foto-Uploader können Sie uns unkompliziert Quellen aus eigenem Besitz zukommen lassen

Das Herzstück der App stellt aber der Foto-Uploader dar: Mit dieser Funktion können interessierte Bürgerinnen und Bürger dem Forschungsprojekt Ideen und Hinweise oder in ihrem persönlichen Besitz befindliche historische Quellen wie Fotos, Plakate, Briefe oder auch Tagebücher schnell und einfach – in Form eines digitalen Fotos – dem Projektteam übermitteln.

Die Verbindung verschiedener medialer Quellen wie zum Beispiel Texte, Fotos, Grafiken, Videos zu einem gebündelten Informationsfluss trägt dazu bei, dass diese im Kontext des Projektes jeweils die ihnen innewohnenden Stärken, zu denen unter anderem die Vermittlung von Unmittelbarkeit, Erlebniswert und Emotion (Fotos, Videos), die Ermöglichung inhaltlichen Tiefgangs (Texte) oder das Schaffen von Überblick (Grafiken, Karten) gehören, ausspielen können. Durch die Nutzung verschiedener web-basierter Medienformate und die aktive Beteiligung der Öffentlichkeit entsteht so vielleicht ein transmediales Geschichtsuniversum, in welches die Zwischen- und Endergebnisse des Forschungsprojektes eingebettet sind.

Die App ist verfügbar in App Store bzw. Play Store sowie unter folgenden Links:

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„Abschied von einer deutschen Mutter“. Die Inszenierung der Trauerfeier für die Obermedizinalratsgattin Elisabeth Schmelcher

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Der Bericht über die Beerdigung von Elisabeth Schmelcher erschien am 17. März 1939 im badischen Parteiblatt „Der Führer“ auf Seite 10.

Im Alter von nur 29 Jahren verstarb am 10. März 1939 Elisabeth Schmelcher, die Ehefrau des Obermedizinalrats im badischen Innenministerium und Leiters des Gesundheitsamts Karlsruhe Dr. Otto Schmelcher, kurz nach der Geburt ihres fünften Kindes. Wenige Tage später erschien in der badischen NS-Zeitschrift „Der Führer“ ein Artikel mit dem Titel „Abschied von einer deutschen Mutter“. Darin wird die Beerdigung in Karlsruhe als nationalsozialistische Feierlichkeit beschrieben und vor allem die Verstorbene als Idealbild einer deutschen Frau glorifiziert.
Dieser Bericht stellt eine eindrückliche Quelle für die Frage nach Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit und sozialer Verortung der Beamten und Beamtinnen in Familie, Netzwerken und Gesellschaft dar, denen neben Organisation und Tätigkeit in diesem Forschungsprojekt auch nachgegangen werden soll.
Über Elisabeth Schmelcher selbst ist neben den Umständen ihres Todes nur wenig und ausschließlich indirekt aus den Personalakten ihres Ehemanns bekannt. Sie wurde als Tochter des Direktors der Heil- und Pflegeanstalt Illenau, Ernst Thoma, am 13. August 1909 geboren. Dort war ihr späterer Ehemann von März 1919 bis September 1923 als Hilfsarzt angestellt. Mit 19 Jahren heiratete sie am 11. Mai 1929 den knapp 20 Jahre älteren Otto Schmelcher und bekam zunächst vier Söhne, im Februar 1939 eine Tochter.

Der Ablauf der Trauerfeier wurde maßgeblich von lokalen NSDAP-Funktionären gestaltet: Eine Abordnung politischer Leiter der Ortsgruppe Neureut hielt die Totenwache, die Trauerreden hielten der Ortsgruppenleiter Karl Buchleither, der zugleich Bürgermeister in Neureut war, und der Gaustellenleiter des Gauschulungsamts Belz. Für die musikalische Umrahmung sorgte der NSDAP-Kreismusikzug Karlsruhe, der zum Ausklang das „Lied vom guten Kameraden“ spielte.
Der Zeitungsbericht geht insbesondere auf die Rede des Gaustellenleiters ein, der Elisabeth Schmelchers Tod als tragisches Schicksal einer „deutschen Mutter“ darstellte, die bereit war „das größte Opfer zu bringen: Das Leben zu geben für das Fortbestehen des Blutes, der Sippe und des Volkes.“ Neben ihrer Opferbereitschaft idealisierte Belz ihre Zugehörigkeit zur nationalsozialistischen Volksgemeinschaft durch ihre Herkunft aus „einer kraftvollen, gesunden Sippe“. Er schilderte sie als „tapfere Frau“, die mit ihrem Opfer „ein Beispiel und ein Vorbild gegeben“ und, wie es einer deutschen Mutter entspreche, ihre Erfüllung im Ehe- und Familienleben gefunden habe.

Die Überhöhung der Mutterschaft als natürliche weibliche Aufgabe spielte in der nationalsozialistischen Ideologie eine bedeutende Rolle. Erwerbsarbeit und politische Öffentlichkeit sollten Männern vorbehalten bleiben, Frauen sich auf den privaten Raum der Familie beschränken. Belz brachte diese Geschlechterdifferenzierung im letzten Teil seiner Rede zum Ausdruck, in dem er daran erinnerte „daß wir über dem harten und lauten Kampf der Männer das stille Heldentum der deutschen Frau und Mutter nicht übersehen dürfen.“ Auch wenn dies eine gewisse Würdigung einschließt, wird doch die damit einhergehende Konstruktion von Ungleichheit zwischen den Geschlechtern deutlich.
In der Realität gestalteten sich die Rollenbilder und das Geschlechterverhältnis deutlich ambivalenter als das Ideal. Zwar zielten politische Vorgaben zunächst auf die Umsetzung und Förderung des Ideals ab, beispielsweise indem die Erwerbslosigkeit der Ehefrau finanziell begünstigt oder Frauen aus bestimmten, meist höher qualifizierten Berufen sowie dem öffentlichen Dienst hinauszudrängen versucht wurden. Doch auch vor Kriegsbeginn waren Frauen weiterhin als Arbeiterinnen und Angestellte in Berufen beschäftigt, die wenig mit Hausarbeit und Mutterschaft gemein hatten. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Anteil weiblicher Studierender, der durch die Beschränkung des Frauenstudiums auf 10 % unmittelbar nach der Machtübernahme sank, aber nach der Aufhebung der Bestimmung zwei Jahre später wieder moderat zunahm.

Die Veröffentlichung des Artikels im „Führer“ und die nationalsozialistische Ausgestaltung der Beerdigung wurden nach dem Krieg auch in Otto Schmelchers Entnazifizierungsverfahren thematisiert. Die Inszenierung wurde damit entschuldigt, dass Schmelcher die Organisation an Bürgermeister Buchleither abgegeben habe. Angesichts des Verlusts seiner Frau und der nunmehr alleinigen Verantwortung für fünf kleine Kinder habe Schmelcher dessen Angebot dankbar angenommen, sich um die Gestaltung der Beerdigung zu kümmern. Für den Inhalt der beiden Reden und die Veröffentlichung der Zeitschrift „Der Führer“ sei er deshalb nicht verantwortlich. Die Spruchkammer in Karlsruhe folgte dieser Darstellung und sah in diesem Punkt keine Belastung Schmelchers; Er habe den Nationalsozialismus nur unwesentlich unterstützt. Schmelcher wurde mit dieser Begründung im Oktober 1947 in die Gruppe der Mitläufer eingereiht und zu einer Geldstrafe von 700 Reichsmark verurteilt.

Durchs Raster gefallen: die gescheiterten Bemühungen der Ehefrau des badischen Kultusministers Otto Wacker um eine Witwenrente

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Mercedes und Otto Wacker am 11. Juli 1931

In einer Zuschrift auf meinen Blogartikel über die Trauerfeierlichkeiten für den 1940 verstorbenen badischen Kultusminister Otto Wacker wurde die Frage aufgeworfen, ob Wackers Ehefrau in der Bundesrepublik eine Witwenrente erhalten habe. Ich konnte diese Frage nicht unmittelbar beantworten, weil ich zwar die Spruchkammerakte Wackers kannte – gegen ihn wurde posthum ein Entnazifizierungsverfahren durchgeführt, um eine Grundlage für die Beurteilung etwaiger Versorgungsansprüche seiner Witwe und seiner unmündigen Kinder zu schaffen –, aber von dem späteren Gang der Dinge in dieser Angelegenheit keine Kenntnis hatte. Unterdessen hat mich die Schwiegertochter Otto Wackers auf einen Quellenbestand aufmerksam gemacht, der sich derzeit noch in Privatbesitz befindet, aber demnächst dem Generallandesarchiv Karlsruhe übergeben werden wird. Ich durfte diesen Quellenbestand einsehen und kann jetzt die versorgungsrechtliche Stellung der Witwe Wackers rekonstruieren. Dies möchte ich im Folgenden tun, nicht nur um eine Antwortschuld einzulösen, sondern auch weil der Fall Aufmerksamkeit verdient: Zwar erbrachten die Bundes- und Ländergesetzgebung des ersten Nachkriegsjahrzehnts gegenüber den NS-Belasteten und ihren Hinterbliebenen eine „großzügige Integrationsleistung“ (Norbert Frei); dieser Generalbefund bedeutet jedoch nicht, dass diese in Einzelfällen ausbleiben konnte. Ein Beispiel hierfür bieten die gescheiterten Bemühungen der Witwe Wackers, Versorgungsansprüche durchzusetzen.

Mercedes Heinrich, geboren 1906 in Offenburg, heiratete 1931 Otto Wacker, ihre drei Kinder wurden 1933, 1934 und 1937 geboren. Nach dem Tode ihres Ehemannes 1940 erhielt sie Hinterbliebenenbezüge aus der badischen Staatskasse für sich und ihre Kinder. Deren Auszahlung wurde nach Kriegsende, entsprechend den Anordnungen der alliierten Militärregierungen über die Entlassungen im öffentlichen Dienst, wegen der politischen Belastung Wackers eingestellt. Erste Schritte mit dem Ziel, die Wiederaufnahme der Zahlungen zu erreichen, unternahmen Mercedes Wacker, die im Dezember 1948 eine zweite Ehe mit einem ebenfalls verwitweten Pforzheimer Schmuckhändler einging, in eigener Sache und ihr Bruder als Vormund seiner beiden Neffen und seiner Nichte mit Schreiben an das badische Kultusministerium in Freiburg als Nachfolgebehörde des von Wacker geleiteten Ressorts am Jahreswechsel 1948/49. Als dadurch rasche Erfolge nicht zu erzielen waren, trug Mercedes Wackers zweiter Ehemann das Anliegen im Februar 1950 dem badischen Staatspräsidenten Leo Wohleb in einem persönlichen Gespräch vor. Auch diese Intervention trug keine Früchte, da die Verantwortlichen im Kultusministerium und in der Staatskanzlei offenkundig davor zurückscheuten, eine Entscheidung zu treffen, bevor der Grad der politischen Belastung Otto Wackers in einem förmlichen Verfahren festgestellt worden war.

In diesem Kontext fand im Sommer 1951 vor der Zentralspruchkammer Nord-Württemberg die Verhandlung über den Verstorbenen statt, zu dessen Gunsten seine Witwe und ihr zweiter Ehemann eine Reihe von Entlastungszeugnissen zusammengetragen hatten – von ehemaligen Mitarbeitern Wackers aus dem Kultusministerium, mehreren Professoren badischer Universitäten und, last but not least, Staatspräsidenten Wohleb, der Wacker attestierte, zu den denjenigen alten Parteigenossen gehört zu haben, „welche die Schattenseiten des neuen Systems erkannten und sich im Rahmen des Möglichen bemühten, Unbilligkeiten und Ungerechtigkeiten zu verhindern“. Unter den Eindrücken dieses und anderer Persilscheine vermochte die Spruchkammer keine Tatsachen zu erkennen, „wegen denen der Verstorbene als materiell Hauptbeschuldigter oder Belasteter einzureihen wäre“ (GLA 465 a/51/Sv 992). Da zu diesem Zeitpunkt allein in diesen Fällen noch Verfahren durchgeführt wurden, stellte die Spruchkammer die Ermittlungen ein. Auch wenn eine präzise Kategorisierung ausblieb, war mit dem Einstellungsbeschluss amtlich, dass Wacker weder „hauptschuldig“ noch „belastet“ war. Er fiel somit nicht unter die Ausschlussklauseln, die der Bundestag kurz zuvor, im Mai 1951, in dem „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“ für diese beiden Gruppen festgelegt hatte. Dieses „131er-Gesetz“ betraf alle öffentlich Beschäftigten, die infolge der Kriegsauswirkungen ihre Stellungen verloren hatten, darunter auch die 1945 aus politischen Gründen Entlassenen, deren Ansprüche auf Wiederverwendung und Ruhestandsbezüge nun neu geregelt wurden.

Unmittelbar nach Einstellung des Spruchkammerverfahrens wandte sich Mercedes Wacker an die Karlsruher Landesbezirksdirektion des Kultus und Unterrichts mit einem Gesuch um Gewährung von Waisengeld für ihre Kinder; eine Witwenrente zu erlangen, erschien wenig aussichtsreich, da nach ihrer Wiederverheiratung allenfalls die Nachzahlung der von 1945 bis 1948 verweigerten Versorgungsbezüge zu erreichen gewesen wäre, für die das „131-er Gesetz“ indes keine Rechtsgrundlage bot. Allerdings wurde auch das Gesuch um Gewährung von Waisengeld vom Präsidenten des Landesbezirks abschlägig beschieden unter Verweis auf Paragraph 7 des „131-er Gesetzes“, der „Ernennungen und Beförderungen, die beamtenrechtlichen Vorschriften widersprechen oder wegen enger Verbindung zum Nationalsozialismus vorgenommen worden sind“, unberücksichtigt ließ (Bundesgesetzblatt Nr. 22, 11.5.1951) – dies treffe auf die Ernennung Otto Wackers zum Kultusminister im Jahr 1933 zweifelsohne zu. Obwohl ein von der Familie bei einem Pforzheimer Rechtsanwalt eingeholtes Gutachten die Erfolgsaussichten skeptisch beurteilte, beschritt Mercedes Wackers Bruder als Vormund der Kinder den Rechtsweg und erhob Klage gegen den Bescheid des Präsidenten des Landesbezirks. Mercedes Wacker selbst sekundierte ihm, indem sie den Fall dem Bundeskanzleramt vortrug, das ihn aber im Herbst 1953 an das inzwischen zuständige baden-württembergische Kultministerium in Stuttgart rücküberwies. Als man dort an der bisherigen behördlichen Rechtsauffassung festhielt, fand der beim Karlsruher Verwaltungsgerichtshof anhängige Rechtsstreit sein Ende: In dem bereits seit dem September 1952 auf Antrag des Vormundes ruhenden Verfahren wurden die Kosten im Januar 1954 dem Kläger auferlegt.

Kamen damit die Bemühungen um Erlangung von Waisengeld, auch weil die beiden jüngeren Kinder der Wackers nun bald der Volljährigkeit entgegensahen, zum Erliegen, so nahm Mercedes Wacker ihre Anstrengungen, eine Witwenrente zu erhalten, knapp 20 Jahre später wieder auf. Der Grund hierfür war ihre materielle Situation: Ihre zweite Ehe war 1962 geschieden worden, und Mercedes Wacker hatte als Mittfünfzigerin eine Berufstätigkeit als Sekretärin aufgenommen, die ihr kaum noch eine auskömmliche Altersversorgung zu sichern versprach. Der Anlass, ihre Ansprüche aus der Ehe mit Otto Wacker erneut geltend zu machen, war offensichtlich der Kontakt zu einem Münchner Rechtsanwalt, der über umfangreiche Erfahrungen in ähnlichen Fällen verfügte und sie ermutigte, erneut beim baden-württembergischen Staatsministerium Hinterbliebenenversorgung zu beantragen. Das Staatsministerium übergab den Antrag zur weiteren Bearbeitung dem Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg, das am Jahresende 1972 das Kultusministerium ein weiteres Mal zu entscheiden bat, ob die Ausschlussklausel des Paragraphen 7 des „131-er Gesetzes“ im Fall Wacker zutreffe. Als das Kultusministerium dies bejahte, lehnte das Landesamt den Antrag ab.

Mercedes Wacker legte hiergegen im März 1973 Widerspruch ein, dessen Begründung ihr Rechtsanwalt, der unterdessen die im Generallandesarchiv Karlsruhe aufbewahrten Personalakten Otto Wackers hatte sichten lassen, zweieinhalb Jahre später nachreichte: Dass Wacker ausschließlich wegen seiner Verbindung zum Nationalsozialismus Minister geworden sei, habe das Landesamt nicht ausreichend begründet. Zugegebenermaßen habe diese Verbindung eine Rolle gespielt, aber keine ausschließliche, sondern nur insoweit, wie auch in der Bundesrepublik die Vergabe von Ministerposten in der Regel an Parteibuchbesitz  gebunden sei. Da Wacker als promovierter Akademiker fachlich und persönlich geeignet gewesen sei, greife die Annahme der ausschlaggebenden Bedeutung seiner Verbindung zum Nationalsozialismus nicht. Das Landesamt für Besoldung und Versorgung ließ sich hierdurch nach erneuter Rücksprache mit dem Kultusministerium nicht zu einer Revision seiner Einschätzung bewegen und wies den Widerspruch im Mai 1976 zurück, woraufhin Mercedes Wacker Klage erhob.

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Mercedes Wacker im Todesjahr ihres Mannes

Das Verwaltungsgericht Karlsruhe wies diese Klage im September 1976 ab, indem es die Rechtsauffassung des Landesamtes für Besoldung und Versorgung bekräftigte, nämlich dass Otto Wacker 1933 maßgeblich wegen seiner engen Verbindung zum Nationalsozialismus zum Minister ernannt worden sei und deshalb Ansprüche auf der Grundlage des „131er-Gesetzes“ nicht geltend gemacht werden könnten. In einer historischen Analyse hob es dabei die Motive der Regierungsbildung im Mai 1933 hervor, bei der es dem NSDAP-Gauleiter und späteren Reichsstatthalter Robert Wagner „allein darum gegangen“ sei, „die nationalsozialistische Machtergreifung auch auf personellem Gebiet umfassend zu verwirklichen“; Wackers fachliche Eignung sei dagegen nicht von entscheidender Bedeutung gewesen. Auch sei es „rechtlich unerheblich, daß es sich hier um die Berufung in Ämter gehandelt habe, die in demokratischen Regierungssystemen ebenfalls überwiegend unter politischen Gesichtspunkten besetzt würden“. Die Klägerin und ihren Rechtsbeistand vermochte diese Argumentation indes nicht zu überzeugen, und sie legten gegen das Urteil Berufung ein. Hierüber wurde allerdings nicht sogleich verhandelt; vielmehr ordnete das Gericht im Februar 1978 auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens an, da sich noch eine andere Möglichkeit zur Klärung der Angelegenheit zu eröffnen schien.

Zu diesem Zweck stellte Mercedes Wacker im März 1979 beim baden-württembergischen Staatsministerium einen Antrag auf Bewilligung einer Unterhaltsbeihilfe im Gnadenwege nach dem Landesgesetz „zur einheitlichen Beendigung der politischen Säuberung“ vom 13. Juli 1953, mit dem seinerzeit die Rechtsstellung verschiedener Gruppen von entnazifizierten Personen verbessert worden war. Aber auch dieser Versuch scheiterte: Das Staatsministerium wies den Antrag zurück, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bewilligung einer Unterhaltsbeihilfe nicht erfüllt seien. Maßgeblich sei hierbei der Paragraph 5,1 des Gesetzes, der eine solche Unterstützung auf dem Gnadenwege nur für „Hauptschuldige und Belastete“ nach den Entnazifizierungskategorien vorsah (Gesetzblatt des Landes Baden-Württemberg Nr. 91, 13.7.1953). Hierzu hatte die zuständige Spruchkammer Otto Wacker aber 1951 nicht gezählt. Wollte man den Sachverhalt pointiert formulieren, ließe sich sagen: Die damals gesammelten Persilscheine hatten eine negative Langzeitwirkung, und es wäre für die Witwe in dieser Situation günstiger gewesen, wenn ihr verstorbener Ehemann damals von der Spruchkammer weniger milde beurteilt worden wäre.

Dem ablehnenden Votum des Staatsministeriums folgte die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, dessen 4. Senat im November 1984 die Ansprüche Mercedes Wackers auf Hinterbliebenenversorgung auf der Grundlage des „131er-Gesetzes“ ebenfalls verneinte. Allerdings argumentierte der Senat anders als die Vorinstanz nicht mit der Ausschlussklausel des Paragraphen 7, sondern konstatierte, dass Minister und ihre Hinterbliebenen generell nicht zu dem vom durch das Gesetz erfassten Personenkreis zählten, da es sich bei den Ministern nicht um „Beamte im Sinne des BGB“ gehandelt habe, sie vielmehr in einem „öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis eigener Art“ gestanden hätten. Als Referenzurteil führte der Senat eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1954 an, die einem ehemaligen Senator des Landes Bremen ebenfalls Versorgungsansprüche nach dem „131er-Gesetz“ verweigert hatte. Auch den von Mercedes Wacker im Berufungsverfahren gestellten Hilfsantrag auf Gewährung der vom Staatsministerium versagten Unterhaltsbeihilfe auf dem Gnadenwege nach dem baden-württembergischen „Beendigungsgesetz“ von 1953 wies das Gericht zurück: Die Klägerin sei keine „Hinterbliebene einer entnazifizierungsrechtlich als Hauptschuldiger oder Belasteter eingestuften Person“. Dass das Gesetz von 1953 nicht auch für ihren Fall die Möglichkeit der Bewilligung einer Unterhaltsbeihilfe auf dem Gnadenwege geschaffen habe, sei auch nicht als ein Verstoß gegen das Willkürverbot des Artikel 3,1 des Grundgesetzes einzuschätzen.

In diesem letzten Argument sah der Rechtsanwalt von Mercedes Wacker einen Anknüpfungspunkt für ein weiteres Vorgehen und legte im Februar 1985 im Namen seiner Mandantin – da die Zuständigkeit unklar erschien – sowohl beim Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg als auch beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs ein. Jedoch auch diese Initiative brachte keinen Erfolg: Das Bundesverfassungsgericht wies die Verfassungsbeschwerde im März 1985 als unzulässig ab, weil der Rechtsweg nicht erschöpft worden sei. Mercedes Wacker habe es versäumt, Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs einzulegen. Damit war 45 Jahre nach Otto Wackers Tod endgültig klar, dass seine mittlerweile fast 80-jährige Witwe keine Versorgungsansprüche wegen seiner Tätigkeit als Minister einer nationalsozialistischen Landesregierung geltend machen konnte.

Wie der hier skizzierte Einzelfall im größeren Kontext des Umgangs mit den Folgeproblemen des Nationalsozialismus in landesgeschichtlicher Perspektive zu bewerten ist, muss einstweilen offen bleiben. Um zu einer fundierten Einschätzung zu gelangen, bedarf es noch weiterer Recherchen zu vergleichbaren Fällen, insbesondere zu den Nachkriegsbiographien der übrigen badischen und württembergischen Landesminister und ihrer versorgungsberechtigten Angehörigen. Auch ist anhand der Quellen noch umfassend zu prüfen, wie die politisch verantwortlichen Stellen in Baden-Württemberg, die zum Beispiel durch das Instrument der Unterhaltsbeihilfen im Gnadenwege Entscheidungsspielräume besaßen, und seinen drei Vorgängerländern in solchen Fällen agiert haben: Wurden die Fälle isoliert behandelt oder gab es eine einheitliche vergangenheitspolitische Handlungsstrategie, die bei Entscheidungen über Versorgungsfragen wirksam wurde, und, wenn ja, hat sich diese Handlungsstrategie von den späten 1940er Jahren bis in die 1980er Jahre verändert?

„Wir wollten auch Lücken in der städtischen Erinnerung thematisieren“ – Interview mit Daniela Gress, M.A.

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Daniela Gress, M.A.

Am 19. Oktober wird im Heidelberger Rathaus die Ausstellung „Herausgerissen. Deportation von Heidelbergern 1940“ eröffnet, die vom Arbeitsbereich Minderheitengeschichte und Bürgerrechte in Europa organisiert wurde, der dem Lehrstuhl für Zeitgeschichte des Historischen Seminars zugehörig ist. Über die Planung und Durchführung der Ausstellung, die von Studierenden gestaltet wurde, sprach Moritz Hoffmann mit Daniela Gress, M.A., die die entsprechende Lehrveranstaltung angeboten hatte.

Moritz Hoffmann: Die nun stattfindende Ausstellung stellt eine Kooperation zwischen der Stadt Heidelberg und dem Arbeitsbereich Minderheitengeschichte und Bürgerrechte in Europa dar. Woher kam die Idee?

Daniela Gress: Die Idee entstand durch eine vorhergehende Kooperation des Arbeitsbereiches mit der Stadt Heidelberg. Dabei ging es um den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar, der häufig auch Holocaustgedenktag genannt wird. Zum Jahr 2015 fragte die Stadt an, ob der Tag vom Lehrstuhl für Zeitgeschichte gestaltet werden möchte. Im Zentrum des Gedenktages sollte die Deportation der Heidelberger Juden stehen, die sich 2015 zum 75. Mal jährte. Unsere Idee hierfür war, den Gedenktag  gemeinsam mit Studierenden zu gestalten. Im Rahmen einer kleinen Exkursion ins Stadtarchiv Heidelberg recherchierten die Studierenden dann Quellen, Literatur und Biografien zum Thema. Ihre Ergebnisse präsentierten sie während der Gedenkfeier in einer kleinen Vorstellung, in der sie vor allem über die Ereignisse während des Nationalsozialismus in Heidelberg berichteten, darüber wie die hiesigen Juden deportiert wurden und wer diese Menschen waren.
Die Gestaltung dieses Gedenktages stieß auf ein überaus positives Echo, und so kam die Stadt noch einmal auf uns zu mit der Frage, ob man nicht anlässlich des 75. Jahrestages der Deportation am 22. Oktober aus dem Thema auch noch eine Ausstellung im Foyer des Rathauses machen könnte. Der Arbeitsbereich entschied sich dann dafür, dies in Form einer Übung für Studierende anzubieten, in der sich schlussendlich 13 Studierende mit dem Thema Historische Ausstellungen und speziell der Verfolgung der Heidelberger Juden auseinandersetzten und ein Konzept formulierten.

Moritz Hoffmann: Haben die Studierenden zum Thema auch Grundlagenforschung, beispielsweise im Stadtarchiv, betrieben oder fokussierte sich die Lehrveranstaltung auf die konkrete Umsetzung?

Daniela Gress: Grundlagenforschung kann man zu diesem Thema, gerade im begrenzten Rahmen einer Übung, kaum noch anstellen, da es sehr gut erforscht ist. Daher ging es eher darum, die neueste Literatur, den aktuellen Kenntnisstand, in Referaten vorzustellen und individuelle Biografien herauszusuchen. Das wirklich Neue war die Erörterung der Möglichkeiten, diese Themen der Öffentlichkeit in einer Studierendenausstellung zugänglich zu machen.

Moritz Hoffmann: Wie hat man sich diese Lehrveranstaltung praktisch vorzustellen? Wurden erst theoretische Grundlagen der Ausstellungskonzeption geschaffen und dann mit dem Thema verknüpft?

Daniela Gress: Zunächst haben wir inhaltliche Sitzungen abgehalten. In Vierergruppen präsentierten die Studierenden die Geschichte der Heidelberger Juden, um sich mit dem Ausstellungsgegenstand vertraut zu machen. Danach haben wir uns intensiv mit den Möglichkeiten der Konzeption beschäftigt, um daraus ein eigenes Konzept herzuleiten. Dabei ging es speziell auch um Fragen wie die Zielgruppe, die Möglichkeiten des Raumes im Rathaus, der ja durchaus begrenzt ist, und natürlich auch um das Budget. Letzteres haben wir den Studierenden gegenüber sehr transparent gehandhabt. Die Ausstellung wird von der Stadt Heidelberg finanziert, und die Studierenden konnten so genau mitverfolgen, was solch ein Projekt kostet, in welchem Rahmen es überhaupt möglich ist. Solche organisatorischen und finanziellen Dinge schon im Studium zu lernen und sich nicht nur auf die inhaltliche Entwicklung zu fokussieren war uns sehr wichtig.

Moritz Hoffmann: Und im weiteren Verlauf der Übung ging es dann an die innere thematische Gestaltung, also auch die Aufteilung der Einzelthemen?

ausst_hd40_3Daniela Gress: Genau. Wir haben uns dafür entschieden, die Ausstellung mit einem Überblick darüber zu beginnen, wie die Juden in Heidelberg vor 1933 gelebt haben, und uns dann mit ihrer Situation nach der Machtübernahme, der Entrechtung und Verfolgung zu beschäftigen. Den Fokus haben wir allerdings eindeutig auf die Deportation selbst gelegt, und hierbei war es den Studierenden ganz wichtig zu zeigen, wie es den Heidelberger Juden nach der Deportation erging. Daher gibt es auch zwei Tafeln zum Lager Gurs, auf denen die Studierenden darüber aufklären was für Verhältnisse dort herrschten. Hier bestehen klare Unterschiede zwischen dem Lager Gurs in Südfrankreich, das nicht von der SS betrieben wurde, und der allgemeinen Vorstellung von Konzentrations- und Vernichtungslagern. Das Internierungslager Gurs lag nicht im direkten Machtbereich der deutschen Militärverwaltung, sondern unterstand der französischen Regierung im unbesetzten Teil Frankreichs, die vom Deutschen Reich dazu gedrängt worden war, die Juden aufzunehmen. Dennoch waren die Verhältnisse auch dort menschenunwürdig, auch dort starben Menschen, auch dort wurde gehungert, aber es gab trotzdem etwas, was wir „Nischen des Trosts“ genannt haben: Die dort Internierten organisierten sich und veranstalteten beispielsweise Sabbatfeiern und Vorträge oder fanden Zuflucht in der künstlerischen Verarbeitung ihrer traumatischen Erlebnisse.

Moritz Hoffmann: Inwiefern geht die Ausstellung auch zeitlich über die Deportation und das Leben im Lager Gurs hinaus?

Daniela Gress: Wir verfolgen den Weg der Gefangenen auch weiter und thematisieren natürlich auch den Holocaust. Viele wurden von Gurs aus weiter in die Vernichtungslager im Osten deportiert, wo sie systematisch ermordet wurden. Einigen gelang aber auch durch Hilfsorganisationen die Flucht und Auswanderung. . Schlussendlich wirft die Ausstellung auch noch einen Blick auf die Situation nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, auf Überleben und das Weiterleben, und auch auf die Erinnerung in der Stadt Heidelberg selbst.

Moritz Hoffmann: Der Titel der Ausstellung spricht nicht speziell vom Tag der Deportation der jüdischen Bevölkerung, sondern von der „Deportation von Heidelbergern 1940“. Welche Personen zählen dazu?

Daniela Gress: Gegen Ende der Lehrveranstaltung kam in der Gruppe der Studierenden die Idee auf, auch die Heidelberger Sinti mit einzubeziehen, deren Deportation einige Monate früher, im Mai 1940 stattfand. Die Sinti wurden in das besetzte Polen deportiert, das sog. Generalgouvernement, wo sie in Ghettos und Konzentrationslagern Zwangsarbeit leisten mussten. Später wurden Sinti und Roma aus ganz Europa u.a. in das sogenannte „Zigeunerlager“ in Auschwitz-Birkenau deportiert und systematisch ermordet. Dies betraf auch einige Heidelberger Sinti. Dieser Teil der Stadtgeschichte ist weitaus weniger präsent und wurde bislang auch von der Forschung in geringerem Maße berücksichtigt. Daher haben wir uns entschlossen, auch die Verfolgung dieser Heidelberger mit in die Ausstellung aufzunehmen. Der große Unterschied zur Deportation der Juden bestand einerseits darin, dass es deutlich weniger Personen betraf, und dass die Stadt Heidelberg den Sinti schon 1936 durch den Entzug von Gewerbescheinen und das Verbot des Umzugs in städtische Wohnungen die Lebensgrundlage entzogen hatte. Der Großteil der Sinti war daraufhin 1936/37 nach Ludwigshafen gezogen, weshalb die Heidelberger Sinti von Ludwigshafen aus deportiert wurden. Dies mag ein Grund dafür sein, dass dieses Ereignis in der städtischen Erinnerung eine geringere Rolle spielt, gerade deshalb wollten wir auch das thematisieren.

Moritz Hoffmann: Wie viele Plakate umfasst die Ausstellung letztendlich?

Daniela Gress: Insgesamt sind es acht Plakate und, was für das Konzept insgesamt wichtig ist, zwei große Karten. Zum einen ist dies eine historische Karte der Stadt Heidelberg, auf der die Studierenden die Straßen und Häuser markiert haben, in denen Heidelberger Juden und Sinti gelebt haben sowie auch die zentralen Orte jüdischen Lebens wie die 1938 zerstörte Synagoge, ein jüdisches Gasthaus oder die jüdischen Friedhöfe. Das Ziel dieser Karte ist zu zeigen, dass sich das Leben der Heidelberger Juden und Sinti im Herzen der Stadt abspielte, genauer in der Altstadt, in Neuenheim, Bergheim und der Weststadt. Sie lebten mit der Heidelberger Mehrheitsbevölkerung buchstäblich Tür an Tür. Auf der zweiten Karte, die den europäischen Kontinent zeigt, sind die Deportationswege von Heidelberg nach Gurs sowie von Gurs an die Fluchtorte sowie in die Zwischen- und Vernichtungslager im Osten verzeichnet. Die Studierenden wollten so die langen Wege deutlich machen, die die Gefangenen in Zügen durch ganz Europa zurücklegen mussten.

Moritz Hoffmann: Die Studierenden, das wurde bislang deutlich, haben einen großen inhaltlichen Einfluss auf die Ausstellung gehabt – was genau beinhaltete das?

Daniela Gress: Die Studierenden haben, immer im engen Austausch mit der Gruppe, die Texte für die Tafeln verfasst und sich dabei am Rahmenwerk orientiert, das wir zu Beginn gemeinsam festgelegt haben. Gleichzeitig sind sie auch selbstständig in die Archive gegangen, haben das Bildmaterial recherchiert und die Bildrechte angefragt. Auch das war uns als Lernziel wichtig, denn diese Fragen sind in der Ausstellungspraxis natürlich eminent wichtig. Die letztendliche Platzierung von Texten und Bildern wurde von einem professionellen Grafiker übernommen, der das Layout wiederum in engem Austausch mit der Gruppe umgesetzt hat.

Moritz Hoffmann: Die letzte Frage schlägt eine Brücke zu unserem Forschungsprojekt: Inwieweit beschäftigt sich die Ausstellung mit den mit der Deportation beauftragten sowie den beauftragenden Stellen? Gibt es eine lokale Fixierung oder wird auch das Land Baden in den Blick genommen?

Daniela Gress: Die Deportation der Heidelberger Juden war ein lokaler Teil der großangelegten Deportation der badischen und saarpfälzischen Juden. Sie ging aus von den beiden Gauleitern Robert Wagner und Josef Bürckel, insgesamt wurden 6.500 Juden aus beiden Gauen nach Gurs deportiert, und dabei gab es natürlich überregionale Anweisungen an die Beamten vor Ort. In Heidelberg waren die Polizei, die Gestapo und die SA an der Deportation von ca. 300 Personen beteiligt. Die Heidelberger Juden wurden in den frühen Morgenstunden des 22. Oktober 1940 an ihren Wohnorten aufgesucht und aufgefordert, innerhalb kürzester Zeit zu packen – und zwar nicht mehr als 50 Kilogramm Gepäck. Es gab präzise Anweisungen an die Beamten beider Gaue, wie die Deportierten zu behandeln waren und welche Gegenstände sie mitnehmen durften, aus denen wir Auszüge präsentieren. Diese Situation wollen wir zuletzt auch mit einer Vitrine verdeutlichen, in der wir anhand von nachgestellten Exponaten, etwa einem Koffer, visualisieren, was die Menschen mitnehmen durften – und im Umkehrschluss natürlich auch, was alles zurück bleiben musste.

Die Ausstellung „Herausgerissen. Deportation von Heidelbergern 1940“ ist zwischen dem 20. Oktober und dem 20. November 2015 im Foyer des Heidelberger Rathauses zu sehen. Die Vernissage findet am Montag, den 19.10.2015 um 18 Uhr statt.


„Schweineschmalzstullenfresser“ und „Hopfenjauchekonsument“: zwei anonyme Kommentare zu den „rassischen Säuberungen“ an der Universität Heidelberg 1933

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Willy Andreas, fotografiert von Robert Herbst, Heidelberg (UAH BA Pos I 00038)

Willy Andreas, fotografiert von Robert Herbst, Heidelberg (UAH BA Pos I 00038)

Ihre wohl wichtigsten Beiträge zur Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur leisteten die Landesministerien in Baden und Württemberg mit dem Vollzug der personellen „Gleichschaltung“ des öffentlichen Dienstes im Frühjahr und Sommer 1933. Die Verantwortlichen in den Ministerien in Karlsruhe und Stuttgart beschränkten sich dabei nicht auf die rein administrative Umsetzung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, sondern konnten im Rahmen der reichsrechtlichen Vorgaben beträchtliche Handlungsspielräume nutzen, etwa mit den Einzelfallentscheidungen darüber, wer denn als vermeintlicher Parteibuchbeamter der Weimarer Zeit ohne Versorgungsansprüche nach Paragraph 2 entlassen oder wegen mangelnder Perspektive eines rückhaltlosen Eintretens „für den nationalen Staat“ nach Paragraph 4 des Gesetzes zur Ruhe gesetzt werden sollte. Zumal bei den „rassischen Säuberungen“ bedurfte es zumindest im badischen Fall auch gar keines Anstoßes durch die Reichsgesetzgebung: Hier preschte Reichskommissar Robert Wagner am 5. April 1933 mit einem Erlass zur Kollektivbeurlaubung sämtlicher im badischen Staatsdienst stehender „Angehöriger der jüdischen Rasse“ voran, die in zahlreichen Fällen wenige Tage später rückgängig gemacht werden musste, als die Ausnahmeregelungen für jüdische Altbeamte und Weltkriegsteilnehmer des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in Kraft traten.

Beim Blick auf die Folgen der personellen „Gleichschaltung“ des öffentlichen Dienstes richtet sich der Fokus verständlicherweise zumeist auf die individuellen Schicksale der Entlassenen, deren berufliche Karrieren jäh unterbrochen wurden und die vielfach in eine überaus prekäre materielle Situation gerieten. Weit weniger präzise zu fassen sind die Auswirkungen auf die „gleichgeschalteten“ Institutionen, in denen die „Säuberungen“ vom Frühjahr und Sommer 1933 einen hohen Anpassungsdruck verursachten: Wer nicht selbst überzeugter Nationalsozialist war und vielleicht sogar grundsätzliche Vorbehalte gegen die aktuellen politischen Entwicklungen hatte, mochte es für die plausibelste Handlungsstrategie halten, sich keine Blöße zu geben und besonderes Wohlverhalten zu zeigen, um sich selbst oder auch die Institution, in der man Verantwortung trug, vor weiteren politischen Einwirkungen zu schützen. In den im Rahmen unseres Forschungsprojekts zu sichtenden Quellen der Interaktion der Landesministerien mit den ihnen unterstellten Einrichtungen scheinen die Folgen dieses Anpassungsdrucks in vielerlei Gestalt auf, und nicht selten manifestiert sich das Bemühen, vermeintliches Fehlverhalten zu vermeiden, in politischer Beflissenheit und vorauseilendem Gehorsam. Als kleines Beispiel hierfür sei eine Episode nachgezeichnet, die den Rektor der Universität Heidelberg, den Historiker Willy Andreas, betraf.

Bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Baden im März 1933 hatte Andreas bereits ein knappes halbes Jahr als Rektor amtiert, und er blieb auch turnusgemäß bis zum Oktober jenes Jahres im Amt. Politisch national-liberal profiliert (und auch später nie der NSDAP beitretend), führte Andreas die zweite Hälfte seines Rektorats in grundsätzlicher Anpassung an die veränderten Verhältnisse (vor allem in seinen öffentlichen Reden dieser Monate), in partiellen, aber zumeist gescheiterten Ausweichversuchen (beim Vollzug des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums an der Universität) und in punktuellem, allerdings nicht-öffentlichem Widerspruch. Dieser fand seinen stärksten Ausdruck in einer am 19. September 1933 dem badischen Kultusminister Otto Wacker übersandten Denkschrift, in der Andreas Kritik an der im Vormonat eingeführten neuen badischen Hochschulverfassung und insbesondere am dort vorgesehenen „Führerprinzip“ an den Universitäten vorbrachte. Obschon er den Kultusminister in dem Begleitschreiben der Denkschrift darauf hinwies, dass er im Begriffe sei, aus der Verwaltung der Universität auszuscheiden, er mithin diese zu seinem hochschulpolitischen Vermächtnis erklärte, trug Andreas doch auch in den folgenden wenigen Wochen bis zum Rektoratswechsel noch Sorge für das politische Ansehen der Universität Heidelberg.

UAH B-1015-4b-1Dieses sah er zum Beispiel bedroht durch eine anonyme Postkarte und einen ebensolchen Brief, die Mitte September in Zürich aufgegeben worden waren und in beleidigendem Ton auf die jüngsten Entlassungen jüdischer Professoren Bezug nahmen. Die Postkarte, die im Namen von 62 jüdischen „Auslands-Americaner(n)“ zu sprechen vorgab, erinnerte den Rektor an die Errichtung des 1931 fertiggestellten Heidelberger Universitätshauptgebäudes, das mit „von Israeliten gebettelte(m) Geld“ finanziert worden sei, und forderte Andreas – als „Schweineschmalzstullenfresser“ tituliert – dazu auf, dieses Geld „für die Opfer der Barbarei d. h. Flüchtlinge“ zurückzuerstatten. In die gleiche Kerbe schlug der kurz darauf im Rektorat eingegangene Brief, der konstatierte, dass dem Rektor „doch die Schamröte ins Gesicht kommen“ müsse, „dass Sie israelitische Professoren brotlos machen halfen und jetzt vom geschnorrten Geld den Neubau der Universität Heidelberg vollendeten“. Auch in diesem Schreiben fehlten grobe Beleidigungen nicht: „Hitler und der warme Röhm“ sollten verrecken und Deutschland als die „Pestbeule Europas“ seinen Lohn erhalten; „Hitlervreke u. Wotans Paul als Hopfenjaucke Consument“ würden in der nächsten Ausgabe der Züricher Satirezeitschrift „Nebelspalter“ eine gebührende Darstellung finden.

UAH B-1015-4b-2Blendet man die derbsprachlichen Invektiven aus, so muss dem Anliegen der Zuschriften eine beträchtliche Plausibilität zugesprochen werden, denn in der Tat war der Bau der Neuen Universität ganz überwiegend aus Spendenmitteln finanziert worden, die der frühere Heidelberger Student und amerikanische Botschafter Jacob Gould Schurman in den USA gesammelt hatte. Welchen Anteil jüdische Spender daran im Detail hatten, war und ist unklar; aber auch ohne dies ermitteln zu können, besaßen Erörterungen über die Baufinanzierung für Andreas einige politische Brisanz. Er dürfte sich nämlich noch sehr gut an die Spannungen an der Universität erinnert haben, die in Zusammenhang mit den Feierlichkeiten anlässlich der Übergabe der Spende von 500.000 Dollar durch Schurman im Dezember 1928 sichtbar geworden waren: Einige Assistenten der Universität hatten die Feierlichkeiten boykottieren wollen, da sie die Amerikaner für den Versailler Friedensvertrag verantwortlich machten und die Spende, die in Anbetracht der deutschen Reparationsleistungen lächerlich gering sei, für scheinheilig hielten, und auch in der Studentenschaft waren gravierende Meinungsverschiedenheiten über die Teilnahme an einem Fackelzug zu Schurmans Ehren aufgebrochen. Ein Wiederaufflammen der Diskussion darüber, wer mit der Spende für den Bau welche Motive verfolgt habe, dürfte für Andreas deshalb, zumal wenn der Fokus auf die Beteiligung jüdischer Spender gelegt würde, höchst unerwünscht gewesen sein.

Nun waren eine Postkarte und ein an den Rektor adressierter Brief, auch wenn letzterer mit dem Verweis auf die Züricher Satirezeitschrift eine indirekte Publizitätsandrohung implizieren mochte, noch bei weitem keine öffentliche Kontroverse, und Andreas hätte die Papiere zu den Akten nehmen und darauf hoffen können, dass der Vorfall damit ein Ende finden würde. Der bald scheidende Rektor hatte jedoch offenkundig die Sorge, mit einem dilatorischen Vorgehen nicht genug zu tun, und zeigte den Vorfall der Aufsichtsbehörde der Universität an. In einer als vertraulich gekennzeichneten handschriftlichen Aktennotiz hielt er am 29. September fest, dass er dem Kultusministerium von der zweiten anonymen Zuschrift Kenntnis gegeben habe. Da ein entsprechendes Schreiben nicht vorhanden ist, liegt die Vermutung nahe, dass er dies mündlich oder fernmündlich getan hat, möglicherweise im Gespräch mit seinem Kollegen Eugen Fehrle, der dank seiner politischen Meriten als eines der wenigen frühen NSDAP-Mitglieder im Heidelberger Lehrkörper im Frühjahr 1933 zum für die Hochschulpolitik zuständigen Abteilungsleiter im Kultusministerium avanciert war. Eine Reaktion aus Karlsruhe auf Andreas‘ Mitteilung ist in den Heidelberger Quellen nicht enthalten, und eine Parallelüberlieferung in den Aktenbeständen des Kultusministeriums konnte bislang nicht aufgefunden werden.

Mochte auch die Anzeige einer vermeintlich das Ansehen der Universität schädigenden Zuschrift bei der Aufsichtsbehörde ein pflichtschuldiges Verhalten des Rektors gewesen sein, so beließ es Andreas nicht bei diesem möglicherweise Nötigen. Vielmehr hatte er schon einige Tage zuvor selbst die Initiative ergriffen, um die kritischen Stimmen aus Zürich zum Verstummen zu bringen. Hierzu hatte er sich an den Heidelberger Bezirksrabbiner Fritz Pinkuss gewandt – ob schriftlich oder mündlich, ist unklar, offenkundig aber in einer Weise, die dem Adressaten signalisierte, dass Andreas von einer Art grenzüberschreitender Kollektivhaftung der Juden füreinander ausging. In seinem Antwortschreiben vom 28. September bemühte sich Pinkuss, es als eine „dankenswerte Freundlichkeit“ zu betrachten, dass der Rektor ihm den Inhalt „jenes minderwertigen, unwürdigen Schreibens“ mitgeteilt habe. Er werde jetzt an den Züricher Kollegen schreiben, „in der Hoffnung, daß die Übeltäter ermittelt und verwarnt werden mögen“. Nötigenfalls werde er, die Zuschrift aus studentischen Kreisen vermutend, auf einer Anzeige bei der Universitätsbehörde bestehen. Trotz des Anpassungsdrucks, den der Heidelberger Rektor – in dieser Sache sicherlich eher übereifrig als pflichtschuldig – auf ihn ausgeübt hatte, versagte sich Pinkuss in dem Schreiben an Andreas deutliche Worte nicht: Er erklärte die anonyme Zuschrift zwar als „völlige Entgleisung“, begreiflich aber aus einem „ungehörigen jugendlichen Überschwang“, und warf die Frage auf, wie wohl auf „amerikanische Juden als Freunde unserer Hochschule“ etwa despektierliche Äußerungen der Heidelberger Hochschulzeitung gegen den 1931 verstorbenen Literaturwissenschaftler Friedrich Gundolf gewirkt haben dürften. Nicht zuletzt konfrontierte Pinkuss Andreas, den Rektor an die von ihm mitvollzogenen Entlassungen an der Universität in den Vormonaten erinnernd, mit dem „würdigen Verhalten, das die jüdische Akademikerschaft in diesen, für sie so schweren Tagen bewiesen hat; Berufstätige wie Studierende, die schweigend ihr Schicksal tragen, in andere Berufe übergegangen sind“.

 

Quelle:

Universitätsarchiv Heidelberg B-1015/4b

Literatur:

Meinhold Lurz, Der Bau der Neuen Universität im Brennpunkt gegensätzlicher Interessen, in: Ruperto Carola 27 (1975), Heft 55/56, S. 39-45.

„Im Umlauf bei…“: Bürokratische Alltagspraxis in der Zivilverwaltung im Elsass. Oder: Über die Kunst, Kürzel zu entziffern.

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Eine der Hauptaufgaben des Forschungsprojektes ist es, die nationalsozialistische Politik der badischen und württembergischen Ministerien aus der ihnen eigenen Verwaltungskultur heraus zu ergründen. Das heißt, wir versuchen zu rekonstruieren, ob und inwiefern eine ganz bestimmte Art zu verfahren Einfluss darauf hatte, was von der NS-Ideologie umgesetzt wurde – oder auch nicht. Ein besonders wichtiger Teil von Verwaltungskultur ist der bürokratische Alltag. Die Ministerialangestellten verfassten, korrigierten, versandten und lasen tagtäglich erhebliche Mengen an Schriftstücken. Das konnten interne handgeschriebene Notizen sein oder aber auch mehrere Seiten umfassende schreibmaschinengeschriebene Berichte oder Rundbriefe. Oftmals wurden zunächst Entwürfe verfasst, die unter Umständen von Vorgesetzten gegengelesen, korrigiert und kommentiert wurden. Häufig wurden die Schreiben vervielfältigt und gingen an mehrere Stellen. All diese verschiedenen Dokumente machen nun im Archiv unsere Hauptquelle aus. Sie will verstanden werden, und zwar nicht nur inhaltlich. Im Folgenden möchte ich anhand einiger Beispiele Einblick in das geschichtswissenschaftliche Arbeiten geben, indem ich zeige, was an der historischen Quelle Verwaltungsschreiben – neben ihrem offensichtlichen Inhalt – noch interessant sein kann und warum.

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Quelle 1. Klicken zum Vergrößern | ADBR 126 AL 904

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Quelle 1. Klicken zum Vergrößern | ADBR 126 AL 904

Am 16. Juni 1942 ermahnte der badische Innenminister und Leiter der Verwaltungs- und Polizeiabteilung im Elsass Karl Pflaumer seine nachgeordneten Dienststellen zu „einer höflichen und entgegenkommenden Behandlung der Bevölkerung,“ die „jedoch selbstverständlich nicht zu einer Nachgiebigkeit in sachlicher Beziehung […] führen“ dürfe, „wo ein hartes und unnachgiebiges Durchgreifen durch die Notwendigkeit des Krieges geboten“ sei. Das Schreiben war von mehreren Referenten mit ihrem Kürzel unterzeichnet worden. Am unteren Rand der ersten Seite standen die Ziffern und Buchstaben der verschiedenen Referate, in dessen Schreibstuben das Dokument zirkuliert hatte [Quelle 1]. Auch ein Artikel aus dem Völkischen Beobachter vom 27. Dezember 1943 über die Vereinfachung der Verwaltung um den Anforderungen des Krieges zu entsprechen, wurde „bei den Herren Referenten“ im Elsass „in Umlauf“ gebracht, wie es in der Verwaltungssprache hieß. Und auch hier waren wiederum Zahlen und Buchstaben am Seitenende geschrieben worden [Quelle 2].

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Quelle 2. Klicken zum Vergrößern | ADBR 126 AL 916

Die Aufgabe der Historikerin ist es nun herauszubekommen, wer sich hinter all diesen Kürzeln und Referatsnummern verbirgt. Denn nur so können wir wissen, wer ein Dokument gesehen hat, beziehungsweise welche Dienststellen und Akteure in eine Verwaltungshandlung involviert waren. Wenn man lange genug im Archiv Quellen studiert, dann entwickelt man für gewöhnlich ein Gespür für die Zeichen dieser Männer und Frauen und kann sie mit der Zeit recht zuverlässig zuordnen. Wer wie ich unzählige Schriftstücke der Zivilverwaltung im Elsass gesichtet hat, weiß zum Beispiel, dass das Kürzel oben links in Quelle 2 Innenminister Pflaumer gehörte, und dass das wie ein S aussehende Kürzel unten rechts in Quelle 1 eigentlich ein G ist und dem Regierungsrat Dr. Karl Günzer aus dem Referat 8c (Rechtsfragen im Gesundheitswesen) zuzuordnen ist. Auch die Schriftfarbe kann Aufschluss geben: Der Referent, der mit blau unterzeichnete, kam aus dem Referat 4, da er diese Ziffer auf der ersten Seite der Quelle 1 durchstrich.

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Quelle 3. Klicken zum Vergrößern | ADBR 126 AL 904

Man kann aber auch andere Quellen hinzuziehen, die einem das Entziffern der Kürzel und Referatsbezeichnungen vereinfachen. Gerade Rundverfügungen bzw. alles, was bei Dienststellen und Beamten „in Umlauf“ gebracht wurde, können dabei hilfreich sein. Eine Verfügung des Chefs der Zivilverwaltung (CdZ) über die „Erweisung des deutschen Grußes“ vom 15. Dezember 1943 musste beispielsweise vom gesamten Verwaltungspersonal, das im Elsass tätig war, gegengezeichnet werden. Hierfür wurden Namenslisten erstellt, und jeder/jede Angestellte hatte sein/ihr Kürzel und Datum dahinter zu setzen. Eine dieser Listen ging wiederum an die Referatsleiter der Verwaltungs- und Polizeiabteilung [Quelle 3]. Aber selbst die beim Chef der Zivilverwaltung beschäftigten einfachen Angestellten und „Reinemachefrauen“ hatten manchmal mit ihrer Unterschrift zu bestätigen, dass sie etwas gelesen hatten [Quelle 4]. Beachtenswert ist, dass diese unteren Behördenmitglieder mit vollem Namen unterschrieben. Die Beamtinnen und Beamten, deren Arbeitsalltag fast ausschließlich aus Schreiben und Lesen bestand, unterzeichneten lediglich mit Kürzel. Ich habe diverse Ausdrucke dieser Listen an einer Pinnwand in meinem Büro hängen, damit ich immer wieder darauf schauen und mir die Handschriften einprägen kann oder im konkreten Fall eine Unterschrift auf einem Dokument vergleichen kann.

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Quelle 4. Klicken zum Vergrößern | ADBR 126 AL 904

Eine weitere Art von Quelle, die bei der Zuordnung von historischen Akteuren in ihr Walten nützlich ist, sind die sogenannten Geschäfts- oder Dienstausteiler (auch -verteilung). Diese können einen ersten Überblick über die Namen und Aufgabengebiete der einzelnen Dienststellen und den dort arbeitenden Staatsdienern liefern. Jedoch habe ich für das Elsass beispielsweise bislang nur einen vollständigen Verteiler finden können. Dieser beinhaltet zudem lediglich eine der drei im Elsass tätigen Abteilungen und hat leider weder Referatsnummern, noch ist er mit Datum versehen (ich habe ihn durch Kontextualisierung auf das Jahr 1942 datieren können). Zudem kommt erschwerend hinzu, dass ständig Personalveränderungen stattfanden, dass Referenten parallel für mehrere Referate zuständig waren, Tätigkeitsgebiete nicht immer klar definiert waren, und dass aufgrund des Krieges Männer aus der Verwaltung abgezogen und in die Wehrmacht eingezogen wurden. Auch im Elsass herrschte also die von der Forschung konstatierte sogenannte Polykratie des nationalsozialistischen Staats. Die hier abschließend gezeigte Aktualisierung der Geschäftsverteilung vom 19. November 1942 (und es hatte in diesem Jahr allein schon mehrere gegeben) zeigt eindrücklich, wie kompliziert es sein kann herauszufinden, wer, wann, in welchem Bereich aktiv war [Quelle 5]. Und das beantwortet dann immer noch nicht die Frage, was er oder sie genau dort tat.

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Quelle 5. Klicken zum Vergrößern | ABDR 126 AL 897

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„Die regionale NS-Täterforschung voranbringen…“– Interview mit Dr. Wolfgang Proske, Herausgeber der Buchreihe „Täter Helfer Trittbrettfahrer“

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Dr. Wolfgang Proske mit dem vierten Band der Reihe „Täter Helfer Trittbrettfahrer“

2016 erscheint der fünfte Band der Reihe „Täter Helfer Trittbrettfahrer“ zur regionalen Täterforschung in Baden-Württemberg. Moritz Hoffmann sprach mit Dr. Wolfgang Proske, dem Initiator des Projekts, über die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit durch ehrenamtliche Autorinnen und Autoren und die Wahrnehmung der nationalsozialistischen Vergangenheit in regionalen Strukturen.

Moritz Hoffmann: Sie haben 2008 das Projekt „Täter Helfer Trittbrettfahrer“ initiiert, das auf nichtinstitutioneller Ebene individuelle Fälle von NS-Belasteten im deutschen Südwesten aufarbeitet. Wie kam es zu diesem Entschluss?

Dr. Wolfgang Proske: Am Anfang steht meine Not als Geschichtslehrer, dass eine regionale NS-Täterforschung vor Ort nicht existiert und dass es Kräfte gibt, die es dabei belassen wollen. Dann folgten erste Frustrationen in lokalen Archiven, wo – nach offensichtlichen „Säuberungen“ – über die NS-Zeit kaum aussagekräftiges Quellenmaterial vorliegt. Danach aber kam es zum erfolgreichen „Blutlecken“ im Staatsarchiv, für die Ostalb insbesondere im Staatsarchiv Ludwigsburg und im Hauptstaatsarchiv Stuttgart.

Moritz Hoffmann: Wie Sie selbst sagen, dient das Projekt dazu, Forschungsdefizite abzubauen. Aus Ihrer Erfahrung heraus, wieso bestehen diese Defizite? Gerade im Gespräch mit Nichthistorikern begegnet man oft dem Vorurteil, die NS-Geschichte sei doch vollkommen aufgearbeitet?

Dr. Wolfgang Proske: Grundsätzlich gilt: Je ländlicher ein Ort oder eine Region ist, desto stärker existiert in NS-Sachen weiterhin das „Große Schweigen“. Forschungseinrichtungen fokussieren offenbar lieber auf prestigeträchtigere und weniger sperrige Forschungsfelder. Der Eindruck, die NS-Geschichte sei „vollkommen aufgearbeitet“, mag unter Nichthistorikern entstanden sein, weil populäre kleine Teilbereiche, zu Hitler etwa oder zu Rommel oder allgemein zum 2. Weltkrieg, auf Spartensendern im Fernsehen beständig wiederholt werden. Tatsächlich aber ist die NS-Geschichte nicht ausreichend aufgearbeitet, weil viele Fragen unter Einbeziehung des Forschungsstandes anderer sozialwissenschaftlicher Disziplinen bisher gar nicht gestellt wurden und eine NS-Geschichtsschreibung unter Einbeziehung der Region flächendeckend kaum existiert.

Moritz Hoffmann: Sie richten Ihren Aufruf, als Autor oder Autorin tätig zu werden, ausdrücklich nicht nur an studierte Historiker – ist dieser interdisziplinäre Ansatz Ihrer Erfahrung nach besonders hilfreich, etwa wenn es um bestimmte Berufsfelder der Täter, Helfer und Trittbrettfahrer geht?

Dr. Wolfgang Proske: Ursprünglich dachte ich, es müssten unbedingt auch die anderen Geistes- und Sozialwissenschaften zum Zuge kommen. Dann aber meldeten sich zusätzlich viele Professionen darüber hinaus zu Wort, auch Menschen ohne Studium, und im Ergebnis gab es ungewöhnliche Herangehens- und Sichtweisen, die – soweit sie veröffentlicht wurden – sehr bereichernd wirkten. Es ist aber ein Irrtum zu glauben, dass die Einbeziehung bestimmter Berufsgruppen deren Berufsfelder näher beleuchten würde. Tatsächlich ist das jeweilige private Forschungsinteresse nicht voraussehbar.

Moritz Hoffmann: Wie genau gehen Sie vor – haben Sie eine Liste von Personen, deren Tätigkeit im und für das NS-Regime noch zu erforschen ist? Lassen Sie sich von Anlässen, wie beispielsweise runden Jahrestagen bestimmter Ereignisse, lenken?

Dr. Wolfgang Proske: Offen gesagt: Ich arbeite immer noch mit möglichst wenig Vorgaben. Listen wären ja gut und schön. Aber wer fertigt sie an, wer hat diesen Überblick? Und nach welchen Kriterien würden bestimmte Fälle berücksichtigt, andere unberücksichtigt bleiben? Weil es mit der Basisforschung nicht weit her ist, bleibt nur der Weg, das wie auch immer zustande gekommene Spezialwissen der momentan knapp 100 Autorinnen und Autoren, alle ausgewiesen durch einschlägige Veröffentlichungen, anzuzapfen. Sie berichten dann nach vorher kommunizierten wissenschaftlichen Grundregeln und unter Einsatz ihrer Reputation nach bestem Wissen und Gewissen und dabei in der Aussage selbstverantwortlich. Runde Jahrestage haben bisher keine Rolle gespielt.

Moritz Hoffmann: Wenn Sie biografisch arbeiten und dabei nicht nur die großen Köpfe der NS-Geschichte in den Blick nehmen und darüber hinaus auch noch einen regionalen Fokus haben; arbeiten Sie auch mit Nachkommen zusammen und wenn ja, welche Chancen bieten sich dort? Führt Ihre Arbeit auch zu Problemen, etwa wenn die Verstrickung den Nachkommen bislang nicht (umfassend) bekannt war?

Dr. Wolfgang Proske

Dr. Wolfgang Proske: Eigentlich sollte nur in Archiven geforscht werden. Dieser Anspruch erwies sich als unrealistisch, bleibt aber grundsätzlich als Ziel bestehen, um im Einzelfall zu möglichst gesicherten Aussagen zu kommen. In manchen Artikeln wird, weil entsprechende Quellen fehlen, mit Zeitzeugen gearbeitet, was aber angesichts von unhinterfragbaren Interessen der Auskunftgeber und begrenztem Erinnerungsvermögen zweite Wahl sein sollte. Verwandte sind vor allem hilfreich, wo es um bisher unbekannte Fotoquellen geht; ihnen fehlt im Inhaltlichen oft die nötige Distanz zum Geschehen. In Ausnahmefällen waren Angehörige allerdings empört, was ihnen im Familienkreis so alles verschwiegen wurde – und so wurden sie zu wichtigen Helfern von THT.

Moritz Hoffmann: Wie gut verläuft Ihrer Erfahrung nach die Zusammenarbeit mit den oft sicherlich sehr kleinen lokalen Archiven?

Dr. Wolfgang Proske: Meine Erfahrung mit Archiven ist durchweg sehr gut. Inzwischen arbeitet eine Generation von Archivaren, die sich freuen, wenn alle ihre Arbeitsgebiete auf öffentliches Interesse stoßen. Gerade Orts- und Kreisarchive sind allerdings, was die NS-Zeit betrifft, sehr oft „gesäubert“ worden, mit welchen Absichten auch immer. Die vier Staatsarchive sind bei NS-Themen also weitaus wichtiger.

Moritz Hoffmann: Welche Quellen außer Archivalien verwenden Sie noch? Ist es Ihrer Ansicht nach beispielsweise sinnvoll, einen Aufruf an die Öffentlichkeit zu starten, bislang unbekannte Quellen aus Privatbesitz zur Verfügung zu stellen?

Dr. Wolfgang Proske: Das ist nicht eindeutig zu beantworten. Der Quellenwert privater, bisher ungenutzter Quellen ist meist begrenzt. Vor allem: wir kommt man an sie ran? Im Fall Oskar Farny hatten wir in Wangen einen entsprechenden Aufruf in der Zeitung gestartet, der – neben den üblichen Schmähanrufen – 25 Mitteilungen erbrachte, meist Zeitzeugenaussagen, die sich allerdings meist nicht als belastungsfähig erwiesen. In den zwei Fällen, wo es konkret wurde, haben wir die angedeuteten Quellen am Ende doch nicht bekommen. Man muss also genau überlegen, wo man wieviel Zeit investiert. Angesichts unserer begrenzten Arbeitskapazitäten ist es sinnvoller, in die Archive zu gehen.

Moritz Hoffmann: Bislang haben Sie ausschließlich Bände über Württemberg veröffentlicht, haben nun aber auch Süd- und Nordbaden im Blick. Was versprechen Sie sich von diesem erweiterten Fokus, und gibt es dort landesübergreifende Verknüpfungen, die Sie nachzeichnen können?

Dr. Wolfgang Proske: Ziel des Projekts THT ist, am Ende das gesamte Bundesland Baden-Württemberg abzudecken. Im Band 5 „Bodenseeraum“, der Anfang 2016 erscheinen wird, blicken wir darüber hinaus noch nach Vorarlberg, Liechtenstein und in die deutschsprachige Schweiz. Schon im jetzigen Stadium ergeben sich ungeahnte Querverbindungen, die über die Orts- und Personenregister auch relativ leicht nachvollziehbar sind. Die ganz großen Verknüpfungen werden später, wenn das Projekt abgeschlossen ist, in einer Meta-Studie nachzuzeichnen sein.

Moritz Hoffmann: Sind die württembergischen und badischen Landesministerien in der bisherigen Arbeit Ihres Projekts bereits in den Blick gekommen?

Dr. Wolfgang Proske: In der momentanen Phase des Projekts geschieht das zufällig und eher selten, abhängig vom Forschungsinteresse der jeweiligen Autorin oder des jeweiligen Autors.

Moritz Hoffmann: Haben Sie für das Projekt einen Schlusspunkt avisiert, oder ist das Ende im Prinzip offen? Aktuell sind ja zehn Bände veröffentlicht oder angedacht, soll es danach weitergehen?

Dr. Wolfgang Proske: Im Grunde ist alles möglich. Die Autorinnen und Autoren, die untereinander vernetzt sind und die sich jährlich zu einer Autorentagung treffen, entscheiden durch ihre konkrete Arbeit, ob und wie es weitergeht. Ideen alleine genügen nicht. Natürlich besteht die Hoffnung, auch außerhalb von THT weitere Täterforschung anzuregen. Hilfreich ist dabei unsere Website, auf der alles Wichtige auch von Außenstehenden nachvollzogen werden kann.

Moritz Hoffmann: Wie werden Ihre Veröffentlichungen finanziert?

Dr. Wolfgang Proske: Die Finanzierung ist schwierig. Das Projekt THT erhält keine regelmäßigen öffentlichen Zuwendungen; die Arbeitsleistung für die Artikel wird ehrenamtlich erbracht. An Kosten verbleiben insofern die eigentliche Buchherstellung, seit Band 4 im dafür gegründeten Kugelberg Verlag. Außerdem erhält jeder Autor zurzeit 200 Euro symbolische Aufwandsentschädigung, dazu etwas Unterstützung bei aufwändigeren Recherchen zum Beispiel in ausländischen Archiven sowie Fahrtkostenzuschüsse zur Autorentagung, die 2016 am 22. und 23. April in Rastatt stattfinden wird. Für all dies gibt es Zuwendungen von Privatpersonen, aber auch von öffentlichen Institutionen, denen der Herausgeber Bettelbriefe schickt. Manchmal wird ein begrenztes Projekt im Projekt unterstützt, wie z.B. die Erstellung einer Website. Klar ist; THT wird erstens dank seiner vielen Autorinnen und Autoren und zweitens dank seiner Sponsoren betrieben. Ich möchte hiermit potenzielle Mäzene bitten, eine Förderung von THT wohlwollend in Erwägung zu ziehen, ebenso wie auch weitere Autorinnen und Autoren sehr willkommen sind.

Titelleiste 5 Bde THT

Durchhalteparolen aus dem Heidelberger Hotel Viktoria – Paul Schmitthenner als Leiter des badischen Kultusministeriums in den letzten Kriegswochen 1945

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Die politische Bedeutung der Landeskultusministerien im „Dritten Reich“ bestand vor allem in ihren Beiträgen zur Implementierung der nationalsozialistischen Ideologie in der „Volksgemeinschaft“, insbesondere in den Schulen. Ihre Verantwortung hierfür versuchten die Amtsspitzen und höheren Beamten der Kultusministerien nach 1945 zu verschleiern. Damit waren sie vor den Spruchkammern auch recht erfolgreich, da diese zumeist die formalen Belastungskriterien (Parteieintrittsdatum, Ämter in der NSDAP, SS und anderen Organisationen usw.) in den Vordergrund rückten und überdies kaum die nötigen Ressourcen besaßen, um im Einzelfall zu ermitteln, welche Beiträge von den Beklagten zur Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie geleistet worden waren. Bei der Sichtung der einschlägigen Spruchkammerakten mag es fast scheinen, als habe es schon bald nach dem Krieg gar keine Rolle mehr gespielt, wer im „Dritten Reich“ was öffentlich gesagt oder geschrieben hatte, solange diese Äußerungen nicht in direktem Zusammenhang mit strafrechtlich relevanten Taten wie zum Beispiel den Judenpogromen im November 1938 standen. Vor diesem Hintergrund geriet vieles in Vergessenheit – auch die Durchhalteparolen, mit denen der Leiter des badischen Kultusministeriums, Paul Schmitthenner, Anfang 1945 zunächst die Beamten und Angestellten seines Ministeriums und dann die gesamte Lehrerschaft in Baden auf den deutschen „Endsieg“ einzuschwören versuchte.

Karl Gärtner | Die Badische Schule, 1937.

Karl Gärtner | Die Badische Schule, 1937.

Nach Otto Wackers Tod hatte Schmitthenner 1940 die kommissarische Leitung des badischen Kultusministeriums übernommen, dort aber nach eigener, rückblickender Auskunft ein sehr begrenztes Arbeitsfeld vorgefunden, da der Ministerialdirektor und fanatische Parteimann Karl Gärtner mit Rückendeckung des Gauleiters und Reichsstatthalters Robert Wagner alle wichtigen Befugnisse an sich gezogen habe. Von dem Marionettendasein, das Schmitthenner in seinem Spruchkammerverfahren geltend machte, befreite ihn der Tod Gärtners, der bei der Räumung Straßburgs am 23. November 1944 in einem Feuergefecht mit den anrückenden französischen Truppen tödlich verwundet wurde. Zwar besaß Schmitthenner, der, anders als sein Ministerialdirektor und etliche Mitarbeiter des Ministeriums, die in französische Gefangenschaft gerieten, in letzter Minute aus Straßburg flüchten konnte, fortan die volle Autorität im eigenen Hause, musste aber in den folgenden Monaten mit gravierenden organisatorischen Schwierigkeiten umgehen. Allen voran fehlte seiner Behörde ein fester Sitz: Die ehemaligen Ministerialgebäude in Karlsruhe waren beim Umzug nach Straßburg an städtische Ämter vermietet worden und konnten nicht freigemacht werden, so dass sich das Kultusministerium auf verschiedene Behelfsstandorte aufsplittern musste. Die Stellen reichten von Meersburg am Bodensee, wo sich die Abteilung Gewerbe- und Fachschulen niederließ, bis nach Heidelberg, wo Schmitthenner mit einem kleinen Stab, in bequemer Fußnähe zu seiner Wohnung und seinem zweiten Amtssitz als Rektor der Universität, im Hotel Viktoria sein Quartier aufschlug.

Schreiben Schmitthenners vom 3. Januar 1945 | GLA 235/9182

Schreiben Schmitthenners vom 3. Januar 1945 | GLA 235/9182

Von hier aus wandte sich Schmitthenner Anfang Januar 1945, dem Jahr, in dem man sich „dem grossen deutschen Sieg und damit dem Frieden entscheidend nähern“ werde, an sämtliche Angehörige des von ihm geleiteten Ministeriums und sprach seine Trauer über den Tod seines vermeintlichen Gegenspielers, Ministerialdirektor Gärtners, aus, der für das Ministerium einen „unersetzlichen Verlust“ bedeute – man stehe „in tiefer Trauer vor dem tragischen Schicksal und dem heldischen Leben dieses wahrhaft germanischen Mannes“. Sodann appellierte er an den Zusammenhalt seiner Mitarbeiter, die trotz der „räumlichen Trennung in mehrere Arbeitsgruppen“ ihre „äusserste Kraft einsetzen und mit ganzer Seele und mit ganzem Leib dem Führer, der Partei und dem Volke dienen“ müssten. „Die besonderen Verhältnisse der Zeit erfordern neben äusserstem Fleiss und letzter Einsatzbereitschaft Anpassungsfähigkeit, Geschicklichkeit, Erfindungsgabe, Verantwortungsbereitschaft und vor allem eine Haltung, die jedem Bürokratismus und Etappengeist den Kampf ansagt und den Dienst der Verwaltung in rücksichtslosem Einsatz der eigenen Person begreift. In dieser Zeit ungewöhnlicher innerer und äusserer Verhältnisse wird sich gerade die echte Tüchtigkeit erweisen. Hierzu rufe ich Sie alle auf. Jeder tue sein Äusserstes und trage so seinen Anteil bei zu dem kommenden Sieg des deutschen Volkes“.

Erlass Schmitthenners vom 7. März 1945 | Universitätsarchiv Heidelberg PA 5709

Erlass Schmitthenners vom 7. März 1945 | Universitätsarchiv Heidelberg PA 5709

Acht Wochen später – die militärische Lage des Reiches hätte dem kenntnisreichsten deutschen Kriegshistoriker, für den sich Schmitthenner hielt, inzwischen durchaus nicht mehr nur als sehr schlecht, sondern als aussichtslos erscheinen können – richtete der Leiter des Kultusministeriums einen ähnlichen Appell an die gesamte badische Lehrerschaft. In dem Erlass vom 7. März 1945 an die Kreis- und Stadtschulämter, die Direktoren der Lehrerbildungsanstalten sowie die Direktionen und Leitungen aller Schularten ordnete er an, unmittelbar und nochmals in Monatsfrist folgende Leitlinien „zum Gegenstand eingehender Besprechungen mit der Erzieherschaft“ zu machen: Da man „mitten in der großen Entscheidungsschlacht des Krieges“ stehe, habe sich jeder „als Soldat zu betrachten, auch wenn er nicht der Wehrmacht oder dem Volkssturm angehört.“ Er erwarte, „daß jeder Erzieher überall, wo es den Verhältnissen entspricht, selbständig zur Waffe greift oder sich den örtlichen Stellen als Kämpfer zur Verfügung stellt“. Die Aussichten der „die nächsten Monate umfassenden Entscheidungsschlacht“ hielt Schmitthenner für „durchaus günstig“, und forderte deshalb „von jedem Erzieher und jeder Erzieherin, daß sie gerade heute den Lebenswillen und den Zukunftsglauben unseres Volkes verkörpern und ausstrahlen. Jeder Gedanke und jede Äußerung, die auch nur ein Gran von Schwäche, Defaitismus und Erbärmlichkeit enthalten, müssen bis aufs Messer bekämpft werden“. Überall dort, wo Unterricht noch möglich sei, sei die geistige Wehrhaftmachung der Schülerinnen und Schüler nicht nur fortzusetzen, sondern zu forcieren. Sie seien insbesondere in geeigneter Weise „zum Haß gegen unsere Feinde zu erziehen. Während die feindliche Haßpropaganda seit Jahren den Haß zu einer Waffe ihrer Soldaten und ihrer Völker gemacht hat, ist dies bisher bei uns in gleicher Weise nicht geschehen. Es muß für den Schlußkampf dieses Krieges nachgeholt werden. … Es muß gelingen, in den jungen Seelen der Schüler und Schülerinnen Entrüstung, Empörung und Haß gegen die verbrecherischen Verderber unseres Volkes und unserer Kultur zu erwecken“.

Welche Folgen Schmitthenners Erlass hatte, lässt sich kaum ermessen. Dass er in den Kollegien sämtlicher badischer Schulen wie angeordnet zweimal ausführlich besprochen wurde, ist angesichts der sich im März und April rasch fortschreitenden Erosion der öffentlichen Ordnung kaum vorstellbar. Ebenso ist – der Natur der Sache nach – nicht zu belegen, dass auch nur ein einziger badischer Lehrer unter maßgeblichem Einfluss von Schmitthenners Appell in den letzten Kriegswochen zum bewaffneten Partisanen wurde und sein Leben riskierte oder dass sich badische Schüler in nennenswerter Zahl freiwillig dem Volkssturm anschlossen, weil der Unterricht im März und April in ihnen den Haß gegen die Feinde geweckt hatte.

Paul Schmitthenner | Universitätsarchiv Heidelberg BA POS I 02768

Paul Schmitthenner | Universitätsarchiv Heidelberg BA POS I 02768, Fotograf: Robert Herbst (Heidelberg)

Folgenlos blieb Schmitthenners propagandistische Eskalation in den letzten Kriegswochen jedenfalls für sein Spruchkammerverfahren. Zwar wurde er in der Klageschrift beschuldigt, der NS-Gewaltherrschaft außerordentliche politische und propagandistische Unterstützung gewährt zu haben; dabei wurde aber lediglich pauschal auf seine Tätigkeit als Reichsredner der NSDAP, Auslandsredner der Auslandsorganisation der NSDAP sowie auf seine Beiträge zu wehrpolitischen Fragen in Tages- und Fachzeitungen verwiesen. Das einzige Beispiel, das die Klageschrift anführte, war nicht der Erlass vom 7. März 1945, sondern sein Artikel „Die Universität im Kriegsjahr 1940“, aus dem folgende Zeilen inkriminiert wurden: „Die Universität Heidelberg ist eine soldatische Kameradschaft der Wissenschaft und Erziehung, ein Regiment der inneren Front und ein Werkzeug in der Hand der Partei und ihres politischen Leiters“.

Auch wenn sie von der Spruchkammer unentdeckt blieben, scheinen Schmitthenners Durchhalteparolen vom Jahresanfang 1945 doch noch auf ihn zurückgefallen sein. Darauf deutet zumindest ein kurzer Abschnitt in seinen unveröffentlichten Lebenserinnerungen hin. Schmitthenner hielt fest, dass seine „Nachfolger im Kultusministerium“, mit denen er in den 1950er Jahren eine langwierige Auseinandersetzung um die Bemessung der Höhe seiner Ruhestandsbezüge führte, „spürbar heftigen Anstoss“ an seinem Erlass vom 7. März 1945 genommen hätten. Schmitthenner selbst vermochte diesen in der Rückschau keineswegs zu bedauern; im Gegenteil schrieb er in seinen Memoiren: „Wie töricht und fern jeden wehrpolitischen Verständnisses ist doch die Meinung, wie die meiner Nachfolger, die in echter deutscher Verdunkelung in einem Krieg auf Leben und Tod in der Entscheidungsstunde auf die gefährliche und mitentscheidende Waffe, sei es was auch die Folge sein mag, aus ethischen Gründen freiwillig verzichten will, deren sich der Feind seit langem ohne alle Skrupel bediente“.

 

 

„Wie Karlsruhe die Volksweihnacht feierte“ – Nationalsozialistischer Weihnachtskult in Baden 1936

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Festlichkeiten schenkte man unter nationalsozialistischer Herrschaft besondere Aufmerksamkeit, da diese im Allgemeinen dazu dienen sollten, die propagierte „Volksgemeinschaft“ zu etablieren und zu stärken. Diese „Volksgemeinschaft“ schloss Personen aus, die aufgrund von rassenbiologischen, politischen oder anderen Gründen nicht mit der nationalsozialistischen Ideologie vereinbar waren. Nach innen hingegen sollten die sozialen Unterschiede der „Volksgenossen“ wie Bildung, Herkunft und Vermögen nivelliert werden. Vor allem das Weihnachtsfest bot sich an, ein nationalsozialistisches Kollektiv mit Hilfe von überformten christlichen Motiven zu zelebrieren.

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„Der Führer“ vom 22. Dezember 1936, Seite 9.

Die sogenannte „Volksweihnacht“ setzte sich zum Ziel, bedürftige Familien und Kinder aus ärmeren Haushalten zu unterstützen. Zu diesem Zweck wurden seit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft reichsweit Feiern auf öffentlichen Plätzen oder in großen Hallen organisiert, die maßgeblich durch private Spenden an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) beziehungsweise deren Unterorganisation Winterhilfswerk des Deutschen Volkes (WHW) finanziert wurden. Zeitgleich mit den Wintersonnwendfeiern (sogenannten Julfesten) einiger nationalsozialistischer Partei-Organisationen am 21.Dezember 1936 fand auch in der Festhalle Karlsruhe (an Stelle der heutigen Schwarzwaldhalle) solch eine „Volksweihnacht“ statt, über die das NSDAP-Parteiblatt „Der Führer“ tags darauf berichtete.

Gleich zu Beginn des Artikels weist der Autor auf die „schöne Sitte des nationalsozialistischen Deutschlands“ hin, den weniger gut situierten Familien zur Weihnachtszeit beizustehen, um „dem Glauben an die deutsche Gemeinschaft sichtbaren Ausdruck zu geben.“ Den Auftakt der Feierlichkeiten bildete ein „Weihnachtsmarsch“ durch die Straßen Karlsruhes, bei dem die Kinder der verschiedenen NSDAP-Ortsgruppen unter Musik von einem Fackelzug des Deutschen Jungvolks begleitet wurden. Auf dem Festhalle-Platz angekommen, wurde „unter den Klängen des Präsentiermarsches“ eine „feierliche Flaggenparade“ abgehalten und die Hakenkreuzflagge gehisst. Erst als dieser militärisch anmutende Auftakt beendet war, suchten die Kinder und Jugendlichen in ihren jeweiligen Ortsgruppen die verschiedenen Festsäle auf.

Begeistert beschreibt der Berichterstatter eine Szenerie, in der eine Augenzeugin ihrer Tochter die „Volksweihnacht“ erklärt und ausführt, dass sie zugunsten der ärmeren Kinder auf einen Teil der eigenen Geschenke verzichten müsse. „Diese Frau hat es verstanden, ihr Kind nationalsozialistisch zu belehren“, schließt er daraus und deutet an, wie sehr das Geschehen nicht nur militarisiert, sondern auch politisiert wurde.

Volksweihnacht

Türplakette des Winterhilfswerks des Deutschen Volkes (WHW) 1935 | Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons – https://commons.wikimedia.org/wiki/File:1935 _WHW_T%C3%BCrplakette.jpg#/media/ File:1935_ WHW_T%C3%BCrplakette.jpg

Der große Festsaal war mustergültig dekoriert, wobei offenkundig sakrale Vorbilder genutzt und umgedeutet wurden. Anstatt einer Christusdarstellung umrahmten „die großen grünen Tannen unseres Schwarzwaldes eine Büste des Führers“ auf dem Podium, vor dem lange Bankreihen den Saal ausfüllten. Eine eigenwilliges Verständnis von „festliche[m] Schmuck“ offenbart sich angesichts der „zahlreiche[n] Flaggen des Reiches und der HJ“, die den Saal ausschmückten.

Neben anderen Ehrengästen der Lokalpolitik war auch der Reichstatthalter und Gauleiter Robert Wagner zur Karlsruher „Volksweihnacht“ geladen. Allerdings wandte er sich nicht selbst an die Gäste; stattdessen wurde zu Beginn der Feststunde die im Rundfunk übertragene alljährliche Rede Joseph Goebbels‘ gehört. Besonderen Dank für sein Kommen erhielt Wagner jedoch von Ortsgruppenleiter Schuhmann, dessen Begrüßungsrede in der Wahrnehmung des Verfassers ganz im Sinne der nationalsozialistischen Aushöhlung des Weihnachtsfestes stand.

Entsprechend der Ableitung des Weihnachtsfests aus ur-heidnischen Bräuchen benutzte Schuhmann in seiner Rede Lichtmetaphern, die sich auf die Wintersonnenwende bezogen und gleichzeitig auf politische Vorgänge anspielen sollten. Nach Jahren der Not strahle „die junge schenkende Kraft des Volkes“ wieder und entzünde „ das Licht der Freude“. Neben „germanischen“ Elementen spielte aber auch weiterhin der christliche Glaube eine Rolle, so dass zuweilen pseudo-religiöse Elemente mit nationalsozialistischer Ideologie vermischt wurden. Mit dieser „Freude“ kehre nämlich auch „der Glaube an das Leben und die Liebe derer, die eines Blutes sind, der Glaube an ein starkes und ewiges Deutschland“ ein. Die Rolle des allgegenwärtigen Heilands nahm in diesem Konstrukt Hitler ein, dem „alles Glück, das wir durch ihn empfangen“, durch noch mehr Loyalität und Opferbereitschaft vergolten werden sollte.

Nach der Bescherung endeten die Feierlichkeiten im großen Festhallesaal indes fast so, wie sie begonnen hatten: Einem Fanfarenchor folgten noch „besinnliche Worte“ und ein „Sieg Heil auf den Führer“. Wie stark die Karlsruher „Volksweihnacht“ unter der nationalsozialistischen Symbolik stand, wird am Ende erneut sehr deutlich, wenn der Autor des Artikels beschreibt, wie „erhebend noch einmal der Augenblick“ war, als „sich die kleinen Händchen zum deutschen Gruße streckten“.

„Hitler – Der Künstler als Politiker und Feldherr“– Interview mit Prof. Dr. Wolfram Pyta über seine Herrschaftsanalyse des Diktators

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Prof. Dr. Wolfram Pyta (© Rainer Kwiotek)

Sina Speit sprach mit Prof. Dr. Wolfram Pyta, Leiter der Abteilung für Neuere Geschichte am Historischen Institut der Universität Stuttgart, über seine Monographie „Hitler – Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse“ und den Mehrwert kulturwissenschaftlicher Konzepte in der Erforschung der nationalsozialistischen Dikatur.

Sina Speit: Sehr geehrter Herr Prof. Pyta, in Ihrer umfangreichen Studie „Hitler – Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine Herrschaftsanalyse“ wählen Sie unter Rekurs auf den Emigranten und Verfolgten des NS-Regimes, Walter Benjamin, einen kulturwissenschaftlichen Ansatz, der darauf abzielt, die „Ästhetisierung der Politik“ als Herrschaftsressouce Hitlers in den Mittelpunkt zu rücken. Worin liegt das Neue dieses Ansatzes?

Prof. Dr. Wolfram Pyta: Ich frage in meiner Studie danach, ob Hitler bestimmte, in der politischen Kultur fest verankerte ästhetische Konzepte mobilisieren konnte, welche an Politiker, aber auch an Militärs, genuin ästhetisch konfigurierte Erwartungshaltungen hinsichtlich der Performativität ihres Auftretens herantrugen. Dabei gelange ich zu dem Ergebnis, daß Hitler überaus erfolgreich darin war, das seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts etablierte „Genie“-Konzept fruchtbar zu machen. Ähnlich wie das Charisma-Konzept ist das Genie-Konzept eine Zuschreibungskategorie – und dies bedeutet, daß Hitlers Genieanspruch auf erhebliche Zustimmung stieß.

Sina Speit: Den Mehrwert kulturwissenschaftlicher Konzepte für Ihre Herrschaftsanalyse der Person Adolf Hitler legen Sie in Ihrer Studie ausführlich dar. Kritisieren Sie damit auch, dass interdisziplinäre Ansätze in der Erforschung der NS-Diktatur bisher zu wenig nutzbar gemacht werden?

Prof. Dr. Wolfram Pyta: Man kann den Eindruck gewinnen, daß die geschichtswissenschaftliche NS-Forschung die begrifflichen Offerten aus den Kulturwissenschaften kaum zur Kenntnis genommen hat und auf dem ästhetischen Auge gewissermaßen blind ist. So sehr die NS-Forschung sich Verdienste um die Adaption sozialwissenschaftlicher Zugriffe erworben hat – hinsichtlich der Rezeption speziell aus der Literaturwissenschaft stammender Zugriffe besteht noch erheblicher Nachholbedarf.

buchcover hitler- künstler politiker feldherrSina Speit: Den zweiten Teil Ihres Buches widmen sie der Untersuchung Hitlers als Feldherr. In diesem Zusammenhang verwenden Sie die Bezeichnung des „Genies“ im Sinne einer Selbststilisierung des militärischen Befehlshabers. Wie begründen Sie Ihre Schwerpunktsetzung auf die Kriegführung Hitlers?

Prof. Dr. Wolfram Pyta: Mit dem an Bedeutung kaum zu überschätzenden Umstand, daß Hitler die letzten fünf Jahre seiner Herrschaft immer stärker in der Funktion des obersten militärischen Befehlshabers aufging. Hitler war der einzige unter den großen Gegenspielern im Zweiten Weltkrieg, der die Operationsführung an sich riß und den Krieg von seinem militärischen Lagezentrum aus leitete. Man muß sich wundern, daß Hitlers Kriegsherrschaft bislang im Schatten der Hitler-Forschung gestanden hat.

Sina Speit: Sie schreiben, die „Festung Europa“ sei eine Wortschöpfung Hitlers gewesen. Heute begegnet uns diese in politischen Debatten rund um die Sicherung der Außengrenzen der Europäischen Union. Wie ordnen Sie diesen Begriff in seiner Entstehungszeit und im heutigen Gebrauch ein?

Prof. Dr. Wolfram Pyta: Hitler verband mit diesem Begriff vor allem den Anspruch, eine Landung der Angloamerikaner in Westeuropa zu verhindern. Seit November 1943 lag der strategische Schwerpunkt seiner Kriegführung nicht mehr im Osten und damit im Krieg gegen die kommunistische Sowjetunion, sondern in der Abwehr der kapitalistischen Demokratien des Westens. „Festung Europa“ war daher im NS-Sprachgebrauch nicht zuletzt mit einer zutiefst antiwestlich-antikapitalistischen Ausrichtung verbunden. Und da nach Hitlers Zerrbild Großbritannien und die USA unter jüdischem Einfluß stünden, war diesem Begriff immer auch Hitlers fanatischer Antisemitismus eingeschrieben.

Sina Speit: Sie werfen zu Beginn Ihres Buches die Fragen auf: „Warum noch eine weitere Monographie über Hitler?“ – woraufhin Sie den Ansatz Ihrer Studie darlegen und diese als gewinnbringende neue Perspektive in der Erforschung der nationalsozialistischen Herrschaft erklären.
Als Vorsitzender der Kommission zur Erforschung der „Landesministieren in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“ möchte ich Sie fragen: Warum noch ein weiteres Forschungsprojekt zu Ministerien unter der Diktatur? Sehen Sie eventuell Möglichkeiten, kulturwissenschaftliche Konzepte auch in diesem Projekt fruchtbar zu machen?

Prof. Dr. Wolfram Pyta: In der Tat verfolgt das erwähnte Forschungsprojekt den Ansatz, eine Kultur des Verwaltungshandeln im NS-System in den Mittelpunkt der Untersuchung zu rücken. Dabei geht es auch um Fragen der Schriftlichkeit und Mündlichkeit von Verwaltungshandeln – aber nicht zuletzt darum, die Akteure selbst ins Zentrum zu plazieren und die von ihnen hinterlassenen Zeugnisse auch mit dem elaborierten Instrumentarium unter die Lupe zu nehmen, welches die Textwissenschaften gerade im Zeichen des material turn zur Verfügung stellen.

Sina Speit: Vielen Dank für das Interview.

Geschichte(n) schreiben – Die „Verreichlichung“ der Justiz als Erfolgsgeschichte?

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Der Bericht im „Völkischen Beobachter“ zum Festakt anlässlich der Übernahme der badischen und Württembergischen Justiz im Januar 1935

Der Bericht im „Völkischen Beobachter“ zum Festakt anlässlich der Übernahme der badischen und Württembergischen Justiz im Januar 1935

Am 9. Januar 1935 verkündet der „Völkische Beobachter“ feierlich, dass von nun an die Landesjustizverwaltungen Badens und Württembergs in den Händen des Reichsjustizministers liegen würden. Unter der Überschrift „Die Übernahme der Länderjustizverwaltungen auf das Reich“ wurde von den Festakten in Karlsruhe und Stuttgart berichtet, während derer unter Anwesenheit des Reichsjustizministers Gürtner und seiner Staatssekretäre, der Gauleiter, sämtlicher Landesminister und der hohen Justizbeamten der Länder eine feierliche Übergabe stattgefunden habe. Der Reichsstatthalter Württembergs, Wilhelm Murr, wird mit den Worten zitiert, „daß der Traum der deutschen Einheit so alt sei wie die deutsche Geschichte. Kaiser und Könige hätten sie nicht zu erreichen vermocht und auch im bismarckschen Reich seien immer noch Länderregierungen erhalten geblieben mit besonderen Interessen und daraus entstehenden Gefahren.“

Nach weniger als zwei Monaten sollte der in diesen Tagen eingesetzte Beamte preußischen Einschlags aus dem Reichsjustizministerium, der inzwischen 65-jährige Adolf Thiesing, als „Beauftragter des Reichsministers der Justiz“ und Leiter der „Abteilung Württemberg-Baden“ dem Reichsjustizminister Gürtner stolz melden, die Justizverwaltungen der süddeutschen Länder ins Reich überführt zu haben – und damit ein wesentliches Stück zum „Traum der deutschen Einheit“ beigetragen zu haben.

Die Geschichte der Justizministerien Badens und Württembergs in der Zeit Nationalsozialismus stellt insofern eine Besonderheit in der nationalsozialistischen Ministerienlandschaft dar, als diese Behörden als einzige Landesministerien tatsächlich als Institution gänzlich abgeschafft wurden und ihre Kompetenzen größtenteils auf das Reich übergingen. Diese Überleitung und damit auch die Kontrolle der Justiz – eine der herausragenden Länderkompetenzen während der Weimarer Zeit – wurde zeitgenössisch im Schlagwort der „Verreichlichung“ auf den ersten Blick erstaunlich „erfolgreich“ vorangetrieben. Auf der Basis von drei sogenannten Überleitungsgesetzen in den Jahren 1934 und 1935 wurden die Geschäfte der Landesjustiz stückweise auf das Reichsjustizministerium überführt. Nachdem schon Ende 1934 die Fusion des preußischen mit dem Reichsjustizministerium als abgeschlossen galt, wurde im eingangs zitierten Festakt ab Januar 1935 auch die Überleitung der südwestdeutschen Länder – nur eine von insgesamt vier Ländergruppen – in der „Abteilung Württemberg-Baden“ im Reichsministerium organisiert.

Der Staatsakt und die gehaltenen Reden anlässlich der „Verreichlichung“ bilden den Leitartikel der Aprilausgabe der „Deutsche Justiz“

Der Staatsakt und die gehaltenen Reden anlässlich der „Verreichlichung“ bilden den Leitartikel der Aprilausgabe der „Deutsche Justiz“

Ein Staatsakt in der Berliner Staatsoper am 2. April 1935, bei dem sich die Prominenz der Nationalsozialistischen Partei unter den Augen des „Führers“ versammelte, inszenierte die „Verreichlichung“ der Landesjustizbehörden schließlich als vollendet. In weniger als drei Jahren seit der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten waren sämtliche Landesjustizministerien aufgelöst worden. Die seit jeher bestehenden Oberlandesgerichte und Generalstaats-anwaltschaften waren nun dem Reichsjustizministerium als Institutionen vor Ort unmittelbar zugeordnet.

In der Frage, wie eigentlich Geschichte(n) geschrieben und welche Erzählungen dabei konstruiert werden, verbirgt sich eine der zentralen und schwierigsten Fragen historischer Forschung. Die Geschichte der „Verreichlichung“ der Justiz ließe sich, wie einleitend umrissen, zeitgenössisch als ein bemerkenswert erfolgreicher und scheinbar vollkommen unproblematischer Verwaltungsakt erzählen. So stellen es zumindest die offiziellen Quellen dar: An der Überleitung beteiligte Juristen publizierten beispielsweise noch in den 1930er Jahren entsprechende Artikel über jene Vorgänge. Anlässlich der Übernahme des Rektorats der Universität Freiburg durch den Juristen Eduard Kern im Frühjahr 1934 stilisierte dieser in seiner Rede unter dem Titel „Die Überleitung der Justiz auf das Reich“ die „Verreichlichung“ als historisch notwendige Errungenschaft eines einheitlichen Reiches. Tatsächlich erfand Kern in dieser Rede das Rad nicht neu, sondern bewegte sich in einem Interpretationsrahmen, den Politiker und Juristen bereits seit Mitte der 1920er Jahre neben finanziellen und strukturellen Argumenten wiederholt in dieser Frage heranzogen, wenn es um die Möglichkeit und vermeintliche Notwendigkeit einer „Verreichlichung“ der Justiz ging. Auch die offiziellen Amtsblätter und Verkündigungsorgane, so etwa die 1933 erstmals erschienene Zeitschrift des Reichsjustizministers, die „Deutsche Justiz“, begrüßten die Vorgänge der „Verreichlichung“ in Fachartikeln und propagandistisch aufgeladenen Kolumnen. Die offiziellen und von der Propaganda geleiteten Narrative der neuen Machthaber stellen die Geschichte der „Verreichlichung“ dabei sowohl als wünschenswerten und historisch notwendigen, als auch als routinemäßigen, einfachen und unproblematischen Verwaltungsakt dar.

Die „Verreichlichung" der Justiz oblag dem Reichsjustizminister Franz Gürtner (1932 - 1941), der in seinen zahlreichen Beiträgen und Reden jenes Narrativ einer „Erfolgsgeschichte" mitkonstruierte. Bundesarchiv, Bild 183-H13466 / Heinscher / CC-BY-SA 3.0

Die „Verreichlichung“ der Justiz oblag dem Reichsjustizminister Franz Gürtner (1932 – 1941), der in seinen zahlreichen Beiträgen und Reden jenes Narrativ einer „Erfolgsgeschichte“ mitkonstruierte.
Bundesarchiv, Bild 183-H13466 / Heinscher / CC-BY-SA 3.0

Folgt die Forschung dieser Darstellung ohne Weiteres, so setzt sie sich nicht selten der Gefahr aus, genau jenes Narrativ einer „Erfolgsgeschichte“ der Justizüberleitung zu reproduzieren, welches die historischen Akteure selbst erschaffen haben. Um der teils gar unbewussten Tradierung derartiger Legenden vorzubeugen, müssen Historikerinnen und Historiker jedoch auch andere Perspektiven einnehmen. Aus dem Blickwinkel der Landesministerien ließe sich diese Geschichte der Justizüberleitung zwischen 1933 und 1935 nämlich durchaus auch anders erzählen – Besonders vor dem Hintergrund, dass in den ausgehenden Zwanziger Jahren politische Diskussionen über eine „Verreichlichung“ der Justiz zumeist klar zugunsten der Föderalisten ausgingen und nicht wirklich als Option anerkannt waren. Mit der Justizhoheit verloren die Länder wesentliche und historisch bedeutsame Kompetenzen, was durchaus politische, aber besonders verwaltungstechnische Widersprüche und Konflikte erzeugen konnte, die in den offiziellen Quellen nur sehr schwer zu fassen sind. Aus diesem Blickwinkel lässt sich eine Geschichte der „Verreichlichung“ anders darstellen: So zog sich die Verhandlung ganz pragmatischer verwaltungstechnischer Hürden, die teils auch in Artikeln der „Deutschen Justiz“ angerissen werden – sei es die Frage der Beamtenbesoldung und Eingruppierung der Landesbeamten, die Fragen nach dem Verbleib des Grundstücksbesitz der ehemaligen Landesjustizverwaltungen, oder die durchaus stark im Fokus stehende Frage der reichseinheitlichen Ausbildung von Referendaren des Justizdienstes – teilweise weit über das Jahr 1935 hinaus. Mit dem Bezirksnotariat besaß der württembergische Justizdienst beispielsweise einen im Reich einmaligen Berufsstand, dessen Eingliederung und Verortung im zukünftigen Juristenstand erhebliche Fragen aufwarf. Auch die Übernahme von Beamten der ehemaligen Landesjustizverwaltungen ins Reichsjustizministerium waren keinesfalls simple Verwaltungsakte, sondern berührten politische und private Interessen gleichermaßen, die es zu regeln galt.

Auch der Verlustprozess der Landesministerien wird Teil der zu schreibenden Geschichte sein, denn die Aufgabe von Historikerinnen und Historikern ist es nicht nur, bestehende Narrative zu hinterfragen, sondern ebenso neue und andere Geschichte(n) zu schreiben. Es gäbe zahlreiche weitere Perspektiven zu nennen, aus deren Sichtweise die „Verreichlichung“ keineswegs nur eine von allen Seiten begrüßte Erfolgsgeschichte war. Und die Geschichte der „Verreichlichung“ der südwestdeutschen Landesjustizverwaltungen war auch – das zeigt der Blick in die amtlichen Akten der Zeit – in jedem Fall kein simpler Verwaltungsakt, von welchem die Befürworter und nicht zuletzt die Nationalsozialisten gern erzählten.


Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus

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Quelle: GLA 236 23733 | Klicken zum Vergrößern

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Quelle: GLA 236 23733 | Klicken zum Vergrößern

Anlässlich des Tags des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern wir an drei jüdische Karlsruher Ministerialbeamte, die unter dem Vorwand des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 aus ihren Ämtern in den badischen Landesministerien verdrängt wurden. Es handelt sich dabei um Erich Naumann, Dr. Fritz Hirsch und Dr. Siegfried Weißmann.

Ihre Namen entstammen einer Liste, die die badische Gauleitung der NSDAP im Juli 1937 zusammengestellt hat. Die Liste wurde den Kreisleitungen übermittelt, „um diesen politisch nicht einwandfreien Beamten ein besonderes Augenmerk zuzuwenden“. Zugleich forderte die Gauleitung dazu auf, die seit 1933 entlassenen Beamten gegebenenfalls zu denunzieren, denn sie wies darauf hin, „daß den Beamten, die sich im Ruhestand befinden, ihr Ruhegeld nach den Bestimmungen des neuen Beamtengesetzes entzogen werden kann, wenn sie sich staatsfeindlich oder gegen die NSDAP betätigen. Dasselbe gilt auch für die Beamtenhinterbliebenen“.

 

Die Gleichschaltung der städtischen „Gefolgschaft“ in Stuttgart. Die Anwendung des Berufsbeamtengesetzes auf Angestellte und Arbeiter

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Oberbürgermeister Dr. Karl Strölin (Bild: Stadtarchiv Stuttgart) | Klicken zum Vergrößern

Mit ihrem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (kurz: Berufsbeamtengesetz) vom 7. April 1933 verschafften sich die Nationalsozialisten einen uneingeschränkten Zugriff auf den gesamten öffentlichen Dienst. Von nun an konnten sie alle Personen aus dem öffentlichen Dienst entfernen, die ihnen aus politischen oder religiösen Gründen missliebig waren. Auch die jüdischen Beamten, Angestellten und Arbeiter im Staatsdienst fielen diesem Gesetz zum Opfer. Die Nationalsozialisten kombinierten das Gesetz in geschickter Weise mit dem legalen Katalog der disziplinarischen Maßnahmen für den öffentlichen Dienst, den sie nun nach den von ihnen gesetzten Maßstäben instrumentalisierten. Bei der Analyse der Umsetzung dieses Gesetzes am Beispiel der Beschäftigten der württembergischen Landes- und Gauhauptstadt Stuttgart stellte sich die Leitfrage: Wurde das Berufsbeamtengesetz vermehrt auf die wichtigeren Bediensteten in gehobener Position angewandt oder gleichermaßen auch auf die Angestellten und Arbeiter in mittlerer und niederer Position?

Eine Antwort auf diese Frage gibt der Aktenbestand des Personalamts der Stadt, der im Stadtarchiv verwahrt wird und als Primärquelle dieser Untersuchung diente. Dort finden sich auch die Adressbücher der Stadt aus den 30er- und 40er-Jahren mit ihren ausführlichen Behördenteilen, in denen die Wechsel an den Spitzen der jeweiligen städtischen Ämter leicht festzustellen sind. Danach erfolgten 1933 in acht Fällen Wechsel an den Amtsspitzen, einschließlich der Übernahme des Oberbürgermeisteramts durch den Nationalsozialisten Dr. Karl Strölin, in neun Fällen blieb der Amtsleiter aus der Weimarer Republik im Amt.

Was die Situation bei den Angestellten und Arbeitern anbetraf, so hatte Strölin bereits am 15. Mai 1933 die unmissverständliche Anweisung erteilt, dass alle Bestimmungen des Berufsbeamtengesetzes „auch für Angestellte und Arbeiter gelten“. Dabei ging es um einen Personenkreis von etwa 5.000 Bediensteten, denen rund 2.300 Beamte und Beamtenanwärter gegenüberstanden. Sozialdemokraten und Kommunisten, die den Nationalsozialisten im direkten politischen Kampf in der Weimarer Republik begegnet waren, wurden in aller Regel ohnehin sofort entfernt. Darüber hinaus trafen die politischen Diffamierungen aber auch Menschen, die in einer bürgerlichen oder liberalen Partei (DDP, DVP, Zentrum) oder in einer der christlichen Kirchen aktiv waren. Meist wurden diese Diffamierungen undifferenziert und ohne Beweise vorgebracht. Oft waren die politischen „Bedenken“ auch nur vorgeschoben, um berufliche oder materielle Vorteile zu ergattern. Bei diesen Diffamierungen wurde nichts ausgelassen:

  • „bekannter Nörgler“,
  • „gehässiger Gegner der NS-Bewegung“,
  • „soll christlich veranlagt sein“,
  • „Verächtlichmachung des Führers“,
  • „Unterdrückung anders gesinnter Arbeiter im Betrieb“,
  • „unwürdiges Verhalten beim Absingen des Deutschlandliedes“,
  • „schärfster NSDAP-Gegner, verhält sich unsozial“,
  • „vorlaute Äußerungen gegen nationale Bewegung“.

Da die Nationalsozialisten 1933 einerseits vor der Aufgabe standen, alle ihre Gegner aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen, diesen andererseits aber am Laufen halten zu müssen, kam es – das ist am Beispiel Stuttgart klar erkennbar – nur zu einer vergleichsweise geringen Zahl von Entlassungen, jedoch zu einem starken Zurückgreifen auf disziplinarische Maßnahmen. Häufig wurde dabei die Bewährungsfrist angewendet, die den Betroffenen zunächst in Amt und Funktion behielt, es aber andererseits möglich machte, noch in den Folgejahren weitere Maßnahmen gegen ihn zu verhängen, sollte er sich nicht im Sinne des Systems bewähren. In Zahlen ausgedrückt, bot sich in der Stadtverwaltung Stuttgart folgendes Bild:

  • 173 Arbeiter und Angestellte wurden entlassen,
  • 413 erhielten Bewährungsfrist,
  • 5 weitere zudem eine „Zurückversetzung“, also Rückstufung, und
  • 13-mal wurde Schutzhaft, also Einweisung in ein Konzentrationslager, verhängt.

Im Vergleich dazu wurden bei den Beamten zum Beispiel 26 entlassen, 8 in den Vorruhestand versetzt, 21 unter (politische) Überwachung gestellt, 14 versetzt und 19 mit Rückstufung oder Beförderungssperre bestraft.

OB Strölin

Oberbürgermeister Dr. Strölin (Bild: Stadtarchiv Stuttgart) | Klicken zum Vergrößern

Eine laxe Handhabung des Berufsbeamtengesetzes ist somit in Stuttgart ganz und gar nicht feststellbar. Wie ein Verzeichnis der städtischen Innenverwaltung vom 19. September 1933 belegt, war dabei die vergleichsweise niedere Ebene der Beamtenanwärter, Sekretäre und Arbeiter bis hin zum Pförtner, Friedhofs- und Schlachthofarbeiter besonders betroffen. Die Tatsache, dass oftmals einfache oder ungelernte Arbeiter das Ziel waren, hatte teilweise aber auch einen banalen Hintergrund: In den Reihen der „Alten Kämpfer“ befanden sich nicht immer genügend Hochqualifizierte, denen man einen Posten in der Verwaltung als „Belohnung“ anbieten konnte. Eine einfache handwerkliche Tätigkeit kam jedoch sogar für einen SA-Schläger in Betracht. Von den frei gewordenen Stellen profitierten in der Tat die „Alten Kämpfer“ der NSDAP. Von Januar 1933 bis Januar 1934, wurden rund 400 NSDAP-Mitglieder eingestellt, unter ihnen 230 „Alte Kämpfer“.

Grundsätzlich muss bei der Betrachtung der städtischen Belegschaft aber angemerkt werden, dass sie zumindest in Stuttgart ohnehin eher nationalkonservativ bzw. konservativ eingestellt war, in der Beamtenschaft sowie bei den höheren Angestellten also kaum mit Anhängern der Sozialdemokratie oder der Kommunisten zu rechnen war. Diese befanden sich bevorzugt auf der Ebene der Arbeiter und einfachen Angestellten, was wiederum ebenfalls eine Erklärung dafür darstellt, dass dort das Berufsbeamtengesetz besonders rigoros vollstreckt wurde.

Die Rollen von Reich, Land und Partei in diesem Prozess der Gleichschaltung des öffentlichen Dienstes in Stuttgart, definierten sich wie folgt:

  • Das Reich steckte mit dem Berufsbeamtengesetz den verpflichtenden juristischen Rahmen ab.
  • Das Land fungierte in Gestalt des württembergischen Innenministeriums als übergeordnete Prüfungsstelle in umstrittenen Einzelfällen.
  • Die NSDAP in Gestalt der zuständigen Kreisleitung war verantwortlich für die politischen Führungszeugnisse der im öffentlichen Dienst Beschäftigten.

 

Eine ausführlichere Version des Beitrags finden Sie an dieser Stelle.

Otto Wacker als Hauptschriftleiter des „Führer“ in der Weimarer Republik

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Porträt von Dr. Otto Wacker als Hauptschriftleiter (Führer, 1.11.1932) | Klicken zum Vergrößern

Als Otto Wacker anlässlich seines 40. Geburtstags am 6. August 1939 im Rundfunk einen Rückblick auf sein bisheriges Leben hielt und diesen Text anschließend zur Veröffentlichung im Druck freigab, schaute er mit besonderem Stolz auf den erfolgreichen Aufbau der nationalsozialistischen Presse zurück. Dieser ist – da lag er sicherlich nicht ganz falsch – zu einem gewissen Grad auch sein persönliches Verdienst gewesen: „Es wurde mir ermöglicht, eine größere Aufgabe zu lösen dadurch, daß Gauleiter Wagner mir die Schaffung einer nationalsozialistischen Tageszeitung übertrug und dann wurde aus einem Wochenblatt [die Tageszeitung] der „Führer“. Ich bin um diese Zeitung etwa 30mal vor Gericht gestanden und wurde auch 5mal verurteilt.“

Nachdem Wacker zunächst ab 1919 an der Technischen Hochschule in Karlsruhe Architektur studiert hatte, wechselte er nach der Diplom-Vorprüfung 1921 an die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, um Neuere Literaturgeschichte, Germanische Philologie und Kunstgeschichte zu studieren. Er beendete sein Studium am 13. April 1928, als er mit einer Dissertation über die groteske Satire bei Johann Fischart, einem aus Straßburg stammenden alemannischen Dichter des 16. Jahrhunderts, promoviert wurde. Bereits am 1. April hatte er die vakante Stelle des Hauptschriftleiters bei der Karlsruher Zeitung „Der Führer“ angetreten, für die er schon seit November 1927 ehrenamtlich gearbeitet hatte. Journalistische Erfahrung brachte er mit; die von ihm und ein paar Gesinnungsgenossen 1924 gegründete NSDAP-Ortsgruppe Offenburg hatte ein eigenes Blatt, den „Völkischen Kämpfer“, herausgegeben; außerdem hatte er gelegentlich Berichte für den „Völkischen Beobachter“ und den „Südwestdeutschen Beobachter“, dem gemeinsamen Organ für die NSDAP-Gaue Baden und Württemberg, verfasst. Dadurch hatte er die Aufmerksamkeit des badischen NSDAP-Gauleiters Robert Wagner auf sich gezogen.

Nachdem im Februar 1928 der bisherige Hauptschriftleiter des „Führer“, Ludwig Ankenbrand, verstorben war, gelang es Wagner, den kurz vor Studienabschluss stehenden Wacker für die vakante Position zu gewinnen. Wacker war sich, wie er am 26. Januar 1936 rückblickend im „Führer“ schrieb, bewusst, was dieser Schritt bedeutete, nämlich „den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu der gesamten damaligen Umwelt“; ihm war klar, dass er sich dadurch unwiderruflich in den Dienst der nationalsozialistischen Bewegung begab.

Die Zeitung „Der Führer“ war 1927 auf Initiative Robert Wagners ins Leben gerufen worden, weil sich der badische Parteichef nicht länger mit den Württembergern den „Südwestdeutschen Beobachter“ teilen wollte. Die Schriftleitung, zu der neben Ludwig Ankenbrand auch Franz Moraller und der stellvertretende Gauleiter Karl Lenz gehörten, hatte ihr Büro in der Karlsruher Amalienstraße 20, wo alle damaligen NSDAP-Gruppierungen residierten. Zu den auswärtigen Mitarbeitern der ersten Stunde zählten zudem der bereits erwähnte Otto Wacker (Offenburg), damals noch Student in Freiburg, und Walter Köhler (Weinheim), der nachmalige NSDAP-Fraktionsführer im Badischen Landtag.

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Titelvignette des badischen NS-Blattes „Der Führer“ (1.11.1932) | Klicken zum Vergrößern

Nachdem in Bruchsal eine Druckerei gefunden worden war, die bereit war, das Blatt zu drucken, erschien die erste Ausgabe am 5. November 1927. Als fünf Monate später Otto Wacker nach Karlsruhe kam, erhöhte er die Seitenzahl des Samstagsblatts auf acht Seiten. Die Abonnentenzahl verdoppelte sich innerhalb des ersten Halbjahres von rund 450 auf über 800 und erhöhte sich bis Ende 1928 auf über 2.000, beflügelt durch den Wahlkampf im Vorfeld der Reichstagswahl 1928. Einen noch größeren Schub brachte im folgenden Jahr die Landtagswahl, als die Zahl der Bezieher fünfstellig wurde. Das Interesse an Inseraten wuchs so stark, dass die Zeitung mit Helmuth Lehr eine eigene Kraft für diese Aufgabe einstellen musste. Der Betrieb benötigte nun eine eigene kaufmännische Leitung, die mit Emil Munz besetzt wurde. Die Zeitung trug sich inzwischen selbst, nach Jahren großer finanzieller Entbehrungen und Risiken, die von allen Beteiligten später immer wieder mit einer Mischung aus Larmoyanz und Stolz bemüht wurden; daher konnte sie sich den Umzug in größere Räume in der Douglasstraße 10 leisten. Bald folgte eine eigene Druckerei in der Markgrafenstraße, deren Leiter Karl Fritz wurde.

1930 erhöhte „Der Führer“ seinen Umfang auf zehn, zum 1. Mai 1932 auf zwölf Seiten. Am 1. August erschien er zum ersten Mal als Halbwochenblatt, ab 1. Januar 1931 als Tageszeitung. Diese wurde hauptsächlich über Abonnements vertrieben, doch wagten sich einige Parteigenossen auch in die Öffentlichkeit; der Straßenverkauf begann an der Hauptpost und auf dem Marktplatz. „Der Führer“, der im gleichnamigen Verlag erschien, expandierte zu einem Wirtschaftsunternehmen, das 1932 nicht weniger als 80 Personen beschäftigte.

Zum Stichtag 1.1.1932 trat „Der Führer“ sein nordbadisches Verbreitungsgebiet an die neu gegründeten Blätter „Heidelberger Beobachter“ und „Hakenkreuzbanner“ ab, die noch im gleichen Jahr zu Tageszeitungen avancierten. „Der Führer“ konzentrierte sich fortan auf Mittelbaden. Die Herausgabe lokaler Beilagen erforderte die Aufstockung der Redaktion um zwei Mitarbeiter, Franz Bretz und Adolf Schmid. Zum schrittweisen Ausbau des Blattes gehörte die Herausgabe der Beilagen „Ortenauer Volkswarte“ für Offenburg (1.11.1931), „Grüselhorn“ für Lahr, „Merkur-Rundschau“ für Baden-Baden, „Bodensee-Rundschau“ für das Seegebiet (alle 1.5.1932), das „Hanauerland“ (1.8.1932) und das „Acher- und Bühler Echo“ (15.10.1932).

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Porträt von Dr. Otto Wacker als Hauptschriftleiter (Führer, 1.11.1937) | Klicken zum Vergrößern

Am 1. November 1931 begann „Der Führer“ mit der Herausgabe von Kopfblättern (Mantelzeitungen bzw. Nebenausgaben), zunächst für Freiburg; unter Hauptschriftleiter (Chefredakteur) Franz Kerber, der 1933 zum Oberbürgermeister von Freiburg ernannt wurde, verselbständigten sich diese zu einer eigenen Zeitung unter dem Namen „Der Alemanne“ mit dem Untertitel „Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens“. Auch „Der Führer“ verstand sich als „Kampfblatt“, nämlich für „nationalsozialistische Politik und deutsche Kultur“. Ab 1932 unterschied er eine Stadtausgabe für Karlsruhe und Umgebung und eine Landausgabe. Zusammen mit den beiden nordbadischen Zeitungen, der „Bodensee-Rundschau“, die ebenfalls ein Kopfblatt des „Führers“ wurde, sowie dem in Furtwangen erscheinenden „Schwarzwälder Tagblatt“ mit seinen eigenen Kopfblättern verfügte die NSDAP am Vorabend der Machtübernahme über ein nahezu flächendeckendes Pressewesen in Baden.

Für die Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie spielte in der Endphase der Weimarer Republik die Presse eine herausragende Rolle. Gauleiter Robert Wagner verstand etwas von Propaganda. Ebenso wie Otto Wacker hatte er Hitlers „Mein Kampf“ aufmerksam gelesen und auf dieser Basis einen Ratgeber für die propagandistische Tagesarbeit der Parteigenossen verfasst, bei der neben dem gesprochenen Wort dem geschriebenen Wort höchste Priorität zukam, wie er am 1.11.1937 anlässlich seines Rückblicks zum zehnjährigen Bestehen des „Führer“ erneut betonte. Die nationalsozialistischen Zeitungen waren für ihn nicht nur nominell, sondern auch im praktischen Einsatz regelrechte „Kampfblätter“; sie verkündeten nicht nur die nationalsozialistische Weltanschauung, sie provozierten, verleumdeten und hetzten gegen den politischen Gegner und gegen die Institutionen des demokratischen Staates. Verbote und Beschlagnahmungen des Blattes gehörten daher zum Kalkül der Herausgeber, ebenso Geld- und Gefängnisstrafen. Als verantwortlicher Herausgeber wurde Robert Wagner bereits im ersten Jahr des Bestehens der Zeitung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Der Führer 1.11.1932_S 4 unten links

Aufzählung der Zeitungsverbote des „Führer“ (Führer, 1.11.1932) | Klicken zum Vergrößern

Sowohl Wagner als auch sein Chefredakteur Wacker nahmen die Rolle des Enfant terrible mit großer Überzeugung und gewiss auch einigem Stolz an. Sie wurden nicht müde auf die Prozesswelle hinzuweisen, mit der die badische Justiz die nationalsozialistische Presse zu stoppen versuchte. In der NS-Sprache liest sich das in einer Zwischenbilanz von Ende 1932 wie folgt: „Die beiden Schriftleiter Dr. Wacker und F. Moraller haben seit Bestehen des ´Führer` rund 65 Prozesse geführt, von denen etwa 20 Prozesse mit Strafen für die Schriftleiter endeten, während die übrigen von ihnen entweder gewonnen wurden oder – in dem berühmten Sande verliefen, aus dem das System sie nicht mehr ausgraben wollte. Die größte Zahl der Prozesse endete damit, daß die Gegner die Klagen zurückzogen oder Vergleiche anboten. Es gibt kein Hindernis, das nicht überwunden werden könnte. Eine Weltanschauung muß durchgepaukt werden, wenn sie siegen soll.“

Dieser Meinung war auch Otto Wacker: „Die Presse hat eine ungeheuere Macht über das Denken und Handeln von Millionen. […] Die Presse muß ein Hammer sein, der das deutsche Eisen unaufhörlich schmiedet und formt in Tagschicht und Nachtschicht“, schrieb er am 1. November 1937 in einer Sonderbeilage des „Führer“ zu dessen zehntem Jubiläum. Am 11. März 1933 wurde Otto Wacker zum Staatskommissar für das Kultus- und Unterrichtsministerium ernannt; zeitgleich beendete er seine Tätigkeit als Hauptschriftleiter des „Führer“. Am 6. Mai wurde er dann zum Minister des Kultus, des Unterrichts und der Justiz berufen. Mit Genugtuung konnte er, wie eingangs zitiert, auf seine persönliche Bilanz als presse- und strafrechtlich Verantwortlicher des „Führer“ hinweisen: Er habe 30 Mal vor Gericht gestanden und sei dabei fünf Mal verurteilt worden.

Dazu zählte unter anderem 1932 eine Haftstrafe von fünf Monaten, die später auf drei Monate verkürzt wurde; es ging um üble Nachrede gegen drei Abgeordnete der Zentrumspartei. In weiteren Fällen wurde er zu unterschiedlich hohen Geldstrafen verurteilt, da unter seiner Verantwortung Artikel erschienen, die den Landtag, die demokratischen Parteien und ihre Abgeordneten in übelster Weise beschimpften. Auch wenn Otto Wacker nicht der Verfasser dieser Artikel war, so hat er doch durch deren Veröffentlichung den politischen Charakter der Parteizeitung maßgeblich bestimmt. Mit seiner journalistischen Arbeit für den „Führer“ empfahl er sich bei Gauleiter Robert Wagner für höhere Aufgaben im Dienst des nationalsozialistischen Regimes.

Wie die Nationalsozialisten 1933 missliebige Beamte loswurden: Die Zurruhesetzung des Oberregierungsrats im badischen Kultusministerium Georg Schmitt

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Die Ankunft der Schutzhäftlinge (Hermann Stenz, vierter von links) im Konzentrationslager Kislau (aus: Stadtarchiv Karlsruhe) | Klicken zum Vergrößern

Der die Verwaltung im „Dritten Reich“ generell prägende Dualismus von Normen- und Maßnahmenstaatlichkeit schlug sich auch im Vollzug der personellen „Gleichschaltung“ innerhalb der Ministerialbürokratie in den ersten Monaten nach der nationalsozialistischen Machtübernahme nieder. Wo die Anwendung der teilweise erst ad hoc neu geschaffenen Normen aufhörte und Willkürmaßnahmen begannen, ist dabei nicht immer klar auszumachen. Dies verdeutlicht das Beispiel der Zurruhesetzung eines Beamten aus dem badischen Ministerium des Kultus und Unterrichts, der zwar vom Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 nicht direkt betroffen war, aber dennoch zu den Opfern der politischen „Säuberungen“ des öffentlichen Dienstes zu zählen ist.

Neben den Beamten „nicht arischer Abstammung“, die in den Ruhestand versetzt wurden, sofern sie nicht unter die Ausnahmeregelungen für Altbeamte und Weltkriegsteilnehmer fielen, betraf das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums zwei Personengruppen: zum einen Beamte, die nach dem politischen Systemwechsel von 1918/19 ohne ausreichende fachliche Qualifikation aus politischen Gründen auf ihre Posten gelangt waren und nun ohne Versorgungsansprüche entlassen wurden, zum anderen Beamte, „die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“ – ihnen standen bei Entlassung drei Viertel des Ruhegehalts und eine entsprechende Hinterbliebenenversorgung zu. In die erste Kategorie fiel von den Beamten des badischen Kultusministeriums zum Beispiel Hermann Stenz, der von 1919 bis 1931 als Sekretär des sozialdemokratischen Ministers Adam Remmele verschiedene Positionen im Innen- und im Kultusministerium bekleidet hatte und nach Remmeles Ausscheiden dort als Regierungsrat in der Hochschulabteilung verblieben war. Stenz, der nicht nur wegen seiner Nähe zu Remmele, sondern auch wegen seiner für seine Stellung als unzulänglich erachteten beruflichen Ausbildung zum Handwerker als lupenreiner sozialdemokratischer Parteibuchbeamter galt, wurde Ende April entlassen und anschließend für knapp ein Jahr als „Schutzhäftling“ im Konzentrationslager Kislau interniert.

Anders gelagert war der Fall eines zweiten sozialdemokratischen Beamten, des Oberregierungsrats Georg Schmitt, der seit Mai 1930 als Referent in der Volksschulabteilung des Karlsruher Kultusministeriums tätig war. Im Gegensatz zu Stenz war Schmitt, der zuvor als Volksschullehrer und Rektor in Tauberbischofsheim, Mannheim und Heidelberg tätig gewesen war, auf einem unverdächtigen Weg in die Ministerialbürokratie gelangt; zumindest war es nicht ungewöhnlich, dass bewährte Schulpraktiker ins Kultusministerium berufen wurden. Gleichwohl gefährdete das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums auch Schmitts Stellung: Als früheres sozialdemokratisches Mitglied des Heidelberger Bürgerausschusses stand er für die Nationalsozialisten im Verdacht, keine ausreichende Gewähr für ein rückhaltloses Eintreten für den nationalen Staat zu bieten; ihm drohte also die Entlassung nach Paragraph 4 des Gesetzes vom 7. April.

Wie sich Schmitts persönliche Stellung im Kultusministerium veränderte, als dort der Nationalsozialist Otto Wacker zunächst als Staatskommissar die Leitung übernahm, lässt sich aus seiner recht schmalen, im Generallandesarchiv Karlsruhe überlieferten Personalakte nicht im Detail erschließen. Allerdings fällt es bei Lektüre der wenigen Dokumente aus diesen Wochen und Monaten nicht schwer zu erahnen, wie prekär seine Situation gewesen sein muss: Die Personalakte enthält eine an Wacker gerichtete Erklärung vom 13. April, in der Schmitt Auskunft über seine vergangenen und aktuellen politischen Einstellungen gab. Ob diese Erklärung aus eigenem Antrieb entstand oder auf Aufforderung Wackers beziehungsweise eines der politischen Vertrauensmänner des Staatskommissars, die unterdessen in verschiedene Abteilungen des Ministeriums eingerückt waren, ist unklar. In der Erklärung machte Schmitt einen Bruch in seiner politischen Biographie geltend: Er sei zwar Sozialdemokrat gewesen, aber nie Marxist und wurde auch von niemandem, „der mich näher kannte, dafür gehalten. Nationalismus war für mich als Deutscher und mehr noch als deutscher Lehrer von je her eine Selbstverständlichkeit. Das in den letzten Jahren immer deutlicher in Erscheinung tretende Versagen der Demokratie im allgemeinen und der Sozialdemokratie im besonderen lockerte mehr und mehr meine innere politische Bindung“. Der inneren Lösung sei dann nach dem „Sieg der nationalen Regierung“ auch die äußerliche gefolgt, womit Schmitt seinen Austritt aus der SPD nach der Reichstagwahl vom 5. März meinte. Deren Bedeutung unterstrich er in seiner Erklärung: „Das deutsche Volk hat in freier Abstimmung den nationalen Parteien die alleinige Führung im ganzen Reich anvertraut. Daraus leite ich als Diener des deutschen Staates für mich die selbstverständliche Pflicht ab, dieser nationalen Regierung und diesem nationalen Staat vorbehaltlos zu dienen“. Dies wiederholte Schmitt am Schluss seiner Erklärung mit der Beteuerung, „daß ich nicht nur äußerlich sondern vor allem auch innerlich ehrlich bereit bin zur uneingeschränkten Mitarbeit an und in dem neuen deutschen Staat“.

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Georg Schmitts Erklärung vom 13. April 1933 (GLA 235/20276) | Klicken zum Vergrößern

Die von Schmitt mutmaßlich unter äußerst bedrückenden Umständen verfasste politische Wohlverhaltenserklärung erfüllte ihren Zweck, denn ein Entscheid des Staatskommissars Wacker vom gleichen Tag sah „bis auf weiteres von der Anwendung des § 4 des Reichsgesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ ab. Die Begründung des Entscheids verwies auf die von Schmitt abgegebene Erklärung sowie auf die Feststellungen, die der kommissarische Leiter der Volksschulabteilung Karl Gärtner, ein Offenburger Parteifreund, der von Wacker ins Kultusministerium gebracht worden war, in der dienstlichen Zusammenarbeit der Vorwochen gemacht hatte. Über die Motivation des Entscheids lässt sich nach derzeitiger Quellenlage nur spekulieren: Eine echte Bewährungschance scheint Schmitt nicht gewährt worden zu sein; vermutlich wurde er nur vorübergehend auf seinem Posten geduldet, weil aktuell kein politisch erwünschter Ersatzkandidat zur Verfügung stand. Darauf deutet jedenfalls ein Schreiben Gärtners an Schmitt vom 2. August hin, in dem er ihm die Notwendigkeit eröffnete, aus dem Dienst zu scheiden. In diesem Schreiben, das Schmitt in seinem Urlaub im Schwarzwald erreichte, war von dienstlichen Verfehlungen oder enttäuschten politischen Erwartungen nicht die Rede; vielmehr teilte Gärtner nur nüchtern mit, dass der Volksschullehrer und um die Partei verdiente SS-Standartenführer Georg Heitz die stellvertretende Leitung der Abteilung Volksschulen im Kultusministerium übernehmen werde. Dies bedinge, „daß einer der Herren Referenten aus dem aktiven Dienst ausscheidet. Da Sie der an Lebens- und Dienstjahren älteste Referent in unserer Abteilung sind und auch nach Massgabe ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse Ihr Ausscheiden aus dem Dienst tragbar ist, kommt Ihre Zuruhesetzung in Frage“. Um Widerspruch sogleich zu unterdrücken, fügte Gärtner die weitere Erwägung hinzu, „dass die durch die politische Umwälzung bedingten Verhältnisse hinsichtlich Ihrer Person und Ihrer früheren politischen Tätigkeit als Exponent der Sozialdemokratie den Wechsel in Ihrer Dienststellung notwendig erscheinen lassen“.

Eine direkte Reaktion Schmitts auf diese Eröffnung ist in seiner Personalakte nicht überliefert. Ein zweites Schreiben Gärtners vom 16. September lässt aber erkennen, dass Schmitt Alternativen zu der geforderten raschen Zurruhesetzung ins Gespräch gebracht hatte: Er hatte offensichtlich vorgeschlagen, ihn solange dienstbehindert zu erklären, bis er nach Vollendung seines 58. Lebensjahres aufgrund des badischen Beamtengesetzes vom 17. Juli 1933 zu materiell günstigen Konditionen frühpensioniert werden konnte, oder aber ihn in den Schuldienst zurückzuversetzen. Letzteres schloss Gärtner kategorisch aus, und auch die neu geschaffene Möglichkeit einer Frühpensionierung käme aus rechtlichen und finanziellen Erwägungen nicht in Betracht. Hatte Gärtner in seinem Schreiben vom 2. August nur indirekt mit der Anwendung des Gesetzes über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums gedroht, so wurde er nun explizit: Minister Wacker wolle „tunlichst vermeiden“, Schmitts „Ausscheiden aufgrund des Gesetzes vom 7. April … zu veranlassen“. „Höheren Auftrags zufolge“ ersuchte Gärtner ihn deshalb „ergebenst, nunmehr Ihr Gesuch um Zuruhesetzung wegen leidender Gesundheit unter Vorlage eines diesbezüglichen ärztlichen Zeugnisses zu beantragen“. Dem kam Schmitt umgehend nach mit einem Attest des bald zu einem der führenden nationalsozialistischen Medizinfunktionäre der Region aufsteigenden Karlsruher Bezirksarztes Otto Schmelcher, der in zwei Sätzen festhielt, dass Schmitt unter Lungenerweiterung und Herzmuskelschwäche leide und damit die Voraussetzungen für die „Zuruhesetzung wegen Krankheit“ gegeben seien. Der vormals sozialdemokratische Oberregierungsrat schied dann, wie von Wacker und Gärtner gewünscht, zum 1. November aus den Diensten des badischen Kultusministeriums.

Verallgemeinernde Rückschlüsse auf die Praxis der politischen Entlassungen in den Landesministerien lassen sich aus dem Einzelfall Georg Schmitt nicht ziehen, da es sich doch um eine sehr spezielle Konstellation handelte: um einen politisch der SPD nahestehenden Beamten, den seine unzweifelhafte fachliche Qualifikation vor der Anwendung des Paragraphen 2 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentum schützte, der seine politische Wohlverhaltenserklärung so überzeugend formulierte, dass die maßgeblichen politischen Kräfte im Ministerium zunächst auf die Anwendung des Paragraphen 4 verzichteten, und der für einige Monate davon profitierte, dass kein nationalsozialistischer Parteigenosse seine Planstelle begehrte. Trotz dieser Besonderheiten ist der Fall aber doch über das Singuläre hinaus relevant, weil er verdeutlicht, dass es bei den personellen „Säuberungen“ 1933 neben den offenen auch versteckte Ausprägungen der Willkür gab. Jedenfalls kann er als Plädoyer dafür dienen, bei der Untersuchung des personalpolitischen Revirements in der Phase der „Gleichschaltung“ nicht nur durchzuzählen, wie viele Beamte auf der Grundlage welcher Paragraphen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus dem öffentlichen Dienst verdrängt wurden, sondern auch andere Ausscheidensgründe zu beachten.

Das Ausscheiden von Beamten im Zuständigkeitsbereich des badischen Kultusministeriums 1933-1935

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Beitragsbild Wibel

Die nationalsozialistische Machtübernahme im Jahr 1933 führte auch in Baden zu gravierenden personellen Umbesetzungen im öffentlichen Dienst. Diese lassen sich für den Zuständigkeitsbereich des Kultusministeriums wenigstens in groben Zügen durch die Personalnachrichten nachvollziehen, die regelmäßig im Amtsblatt des Ministeriums mitgeteilt wurden. Sie vermerkten, zumeist im Monatsturnus, die Ernennungen, Versetzungen, Eintritte in den Ruhestand, Entlassungen und Todesfälle von Personen, die an den Schulen, Hochschulen und in den vom Land unterhaltenen kulturellen Einrichtungen tätig waren. Über die Vollständigkeit dieser Personalnachrichten lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine präzisen Angaben zu machen – hier wäre zum Beispiel zu prüfen, ob sich die für die drei badischen Landesuniversitäten inzwischen gut dokumentierten Entlassungen aus rassistischen und politischen Motiven in den Amtsblättern vollständig widerspiegeln. Die folgenden Hinweise versuchen keinen Gesamtüberblick über das Personalrevirement im Zuständigkeitsbereich des Kultusministeriums, sondern konzentrieren sich auf das Ausscheiden von Beamten aus dem Dienst als Teilaspekt.

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Beamte, die ihre Beschäftigung im Zuständigkeitsbereich des badischen Kultusministeriums in den Jahren 1933-1935 beendeten | Klicken zum Vergrößern

In den beiden Jahren unmittelbar nach der Machtübernahme waren im Amtsblatt des badischen Kultusministeriums 1.056 Personen vermerkt, die von ihren Stellen entfernt wurden oder ausschieden. Signifikant ist diese Zahl vor allem im Vergleich zum Jahr 1935, in dem dies lediglich auf 169 Personen zutraf. Dem Ende der Beschäftigungszeit dieser Personen konnten mehrere Ursachen zu Grunde liegen: Es bestand beispielsweise die Möglichkeit des normalen Eintritts in den Ruhestand mit Erreichen des Pensionsalters oder auch das Ausscheiden aus gesundheitlichen Gründen, die das Ausüben des Berufes unmöglich machten. Andererseits waren auch politische oder rassistische Kriterien ursächlich für das Ende der Karriere. Häufig ist die Unterscheidung zwischen möglichen Ursachen nicht so eindeutig, wie es zunächst scheinen mag. Bei einem Großteil der Beamten, die den Zuständigkeitsbereich des Kultusministeriums in den Jahren von 1933 bis 1935 verließen, wurden im Amtsblatt Begründungen für deren Ausscheiden genannt.

Dabei wurde das Ausscheiden aus dem Dienst im Jahr 1933 zu etwa 17 Prozent  mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 begründet. Dieses diente dem nationalsozialistischen Regime dazu, unliebsame Beamte aus politischen und rassistischen Gründen aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Im Jahr 1933 wurden die §§ 3, 4 und 6 des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ als Ursache für Entlassungen genannt, wobei insbesondere § 3 häufig Erwähnung fand. Er bezog sich auf Beamte „nicht-arischer“ Abstammung, welche „in den Ruhestand zu versetzen“ oder, sofern es sich nicht um Ehrenbeamte handelte, „zu entlassen“ seien. Von § 3 ausgeschlossen waren „nichtarische“ Beamte, die bereits vor August 1914 im Dienst gewesen waren oder im Ersten Weltkrieg für das Deutsche Reich beziehungsweise dessen Verbündete gekämpft hatten, ferner Beamte, deren „Väter oder Söhne im Weltkrieg gefallen“ waren. § 4 bezog sich auf Beamte, die bezüglich ihrer politischen Einstellung nicht ohne Zweifel „für den nationalen Staat“ eintraten. Nach einer Ablauffrist von drei Monaten nach Entlassung erhielten diese nur noch drei Viertel ihres vorherigen Ruhegeldes sowie die entsprechende Hinterbliebenenversorgung. § 6 sollte die Verwaltung vereinfachen und nannte die Möglichkeit der Versetzung von noch nicht dienstunfähigen Beamten in den Ruhestand, wobei deren Stellen nicht neu besetzt werden durften.

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Begründungen für den Austritt von Beamten aus dem Zuständigkeitsbereich des badischen Kultusministeriums im Jahre 1933 | Klicken zum Vergrößern

Kurz vor dem reichsweiten „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ hatte es einen Erlass Robert Wagners gegeben, der als überzeugter Antisemit bekannt war und nach der nationalsozialistischen Machtübernahme kommissarisch die politischen Geschäfte in Baden übernommen hatte. Die Anordnung des späteren badischen Reichsstatthalters betraf allein den Staat Baden und sah die unmittelbare Beurlaubung aller jüdischen Beamten vor. Allerdings trat der radikale Erlass Wagners mit dem reichsweiten „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ unmittelbar außer Kraft. Diese Konstellation konnte in manchen Fällen sogar dazu führen, dass Beamte, die unter Wagners kompromissloser Anordnung den Schuldienst hätten verlassen müssen, bei Inkrafttreten des reichsweiten Gesetzes wiedereingestellt wurden: so auch im Falle des Lehrers Ulrich Bernays, der am Goethe-Gymnasium in Karlsruhe unterrichtete und auf Anordnung Wagners beurlaubt wurde, da er jüdische Großeltern hatte. Mit Inkrafttreten des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wurde Bernays allerdings wiedereingestellt, da er als „Altbeamter“, der vor dem August 1914 seinen Dienst angetreten hatte, unter eine Ausnahmeregelung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (§ 3 Abs. 2) fiel. Mit dem „Reichsbürgergesetz“ 1935 galt Bernays schließlich als „Volljude“ und war damit nach § 4 des besagten Gesetzes kein Reichsbürger, was dazu führte, dass er und alle anderen jüdischen Beamten, die zuvor eine Ausnahmeregelung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ geschützt hatte, aus dem Dienst entlassen wurden.

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Begründungen für den Austritt von Beamten aus dem Zuständigkeitsbereich des badischen Kultusministeriums im Jahre 1934 | Klicken zum Vergrößern

Im Jahre 1934 wurde lediglich bei fünf Prozent der begründeten Entlassungen noch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ genannt. Im Gegensatz zum Vorjahr, in dem somit die rassistischen und politischen Verdrängungen weitgehend abgeschlossen worden waren, schieden die meisten dieser Personen aufgrund der §§ 5 und 6 aus; nur eine einzige Entlassung wurde mit § 3 begründet. § 5 besagte, dass sich ein Beamter „die Versetzung in ein anderes Amt derselben oder einer gleichwertigen Laufbahn“, irrelevant ob von niedererem Rang, unter Erfordernis des dienstlichen Bedürfnisses „gefallen lassen“ müsse, wobei der Beamte seine vorherige Amtsbezeichnung sowie sein ursprüngliches Einkommen weiterhin behielt. Den Beamten stand bei einer Rangabstufung außerdem frei, innerhalb einer Frist von einem Monat eine Versetzung in den Ruhestand zu beantragen. Im Jahre 1935 wurde schließlich kein Beamter mehr aufgrund des Gesetzes vom 7. April 1933 aus dem Zuständigkeitsbereich des badischen Kultusministeriums entlassen. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ war demnach einer der Gründe für den zahlenmäßig stark erhöhten Anstieg der Entlassungen im Jahre 1933.

Im Jahr 1935 wurden bei 88 Prozent der Beamten Gründe für deren Ausscheiden aus dem Dienst genannt, davon 26 Prozent „gesundheitliche Gründe“. Bei der Angabe von „gesundheitlichen Gründen“ handelte es sich in vielen Fällen mit Sicherheit um Personen, die ihren Beruf tatsächlich nicht mehr ausüben konnten. Allerdings gibt es auch einige Beispiele von Personen, bei denen die Angabe gesundheitlicher Probleme vorgeschoben wurde: so beispielsweise im Falle des Oberregierungsrates Georg Schmitt, der in der Volksschulabteilung des Karlsruher Kultusministeriums tätig war. Schmitt schien als ehemaliger Sozialdemokrat als politisch unzuverlässig, weshalb eine Entlassung nach § 4 des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ in Frage kam. Nominell erfolgte sein Ausscheiden im Jahre 1933 allerdings „wegen leidender Gesundheit“; einen entsprechenden Antrag zu stellen, hatte ihn sein Vorgesetzter im Ministerium, ein profilierter nationalsozialistischer Parteimann, genötigt.

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Begründungen für den Austritt von Beamten aus dem Zuständigkeitsbereich des badischen Kultusministeriums im Jahre 1935 | Klicken zum Vergrößern

Etwa 15 Prozent des Ausscheidens aus dem Dienst im Zuständigkeitsbereich des badischen Kultusministeriums im Jahre 1935 wurden mit dem „Gesetz über die Zurruhesetzung von Beamten“ vom 17. Juli 1933 begründet (Link zur Quelle), ausnahmslos aufgrund des § 1 und „auf Ansuchen“. § 1 besagte, dass ein Beamter, „der das 58. Lebensjahr vollendet hat, auf sein Ansuchen in den Ruhestand versetzt werden kann, auch wenn er noch nicht dienstunfähig geworden ist.“ Das Ruhegehalt belief sich in einem solchen Fall auf den vollen Betrag, den der Beamte bekäme, hätte er bis zum planmäßigen Rentenalter gearbeitet. Das „Gesetz über die Zurruhesetzung von Beamten“ intendierte, ähnlich wie das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, den Austausch der Beamtenschaft. Primär sollten langjährige Beamte jüngeren Kollegen, die sich in der Partei verdient gemacht hatten und das nationalsozialistische Gedankengut zuverlässig vertraten, ihren Posten übergeben. Bei all diesen Personen ist vermerkt, sie hätten sich „auf Ansuchen“ in den Ruhestand versetzen lassen− diese Zurruhesetzung geschah allerdings in vielen Fällen nicht freiwillig. Wie bei den Zurruhesetzungen aus Gesundheitsgründen ist auch bei diesen Frühpensionierungen anzunehmen, dass sich dahinter etliche Fälle versteckter politischer Verdrängung finden lassen. Dass man diesen Personen dann im Amtsblatt noch attestierte, sie seien „unter Anerkennung des nationalen Opfersinnes“ in den Ruhestand getreten, mochte mancher als Hohn empfunden haben. Unter dieser Rubrik verließ in den Jahren 1933 und 1934 je etwa die Hälfte der Personen, bei denen eine Begründung für den Austritt vorlag, ihre Stelle. Dass die Quote der Ruhestandseintritte unter „Anerkennung des nationalen Opfersinns“ 1935 rapide absank, dürfte nicht in erster Linie daran gelegen haben, dass die „Verjüngung“ der Beamtenschaft nun als abgeschlossen betrachtet wurde. Vielmehr spielte wohl eine Rolle, dass die zahlreichen Frühpensionierungen die Staatskasse ungebührlich belasteten und nicht länger finanzierbar waren.

Etliche Beamte mussten ihre Arbeit im Zuständigkeitsbereich des badischen Kultusministeriums in der Anfangsphase der nationalsozialistischen Herrschaft niederlegen. Viele wurden aufgrund offen genannter politischer oder rassistischer Kriterien auf Grundlage des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entlassen. Neben diesen offensichtlich mit dem Nationalsozialismus zusammenhängenden Fällen gab es allerdings Beamte, deren begründetes Karriereende zunächst nicht auffällig erscheinen mag. Oft wurde ein freiwilliges oder krankheitsbedingtes Austreten allerdings nur suggeriert, und bei näherer Betrachtung der Fälle dürfte sich der Druck von Vorgesetzten als eigentliche Ursache des „freiwilligen“ Ausscheidens erweisen. Häufig wurde in diesen Fällen das Vorschieben gesundheitlicher Gründe, das Verlassen ihres Postens „auf eigenes Ansuchen“ oder auch der Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand auf Grundlage des „Gesetzes über die Zurruhesetzung der Beamten“ von einflussreichen Vorgesetzten nahegelegt. Eine eindeutige Bestimmung der Einzelschicksale würde deshalb Nachforschungen zu jeder im Amtsblatt aufgeführten Person notwendig machen.

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